Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi
EINS
»Thelen.« Sabine drückte das Handy an ihr Ohr, hielt sich das andere zu. Sie stand vor dem Königpalast an der Westparkstraße. In der Schlange ging es lebhaft und laut zu. Gleich würden sich die Krefelder Pinguine in den Play-offs beweisen müssen.
»Sabine? Kannst du meinen Bereitschaftsdienst übernehmen?«
»Roland, ich habe Karten fürs Eishockeyspiel.«
»Meine Mutter ist gestürzt und hat sich den Oberschenkel gebrochen. Sie muss noch heute operiert werden.« Hauptkommissar Roland Kaiser klang verzweifelt.
»Oh«, entfuhr es Sabine. »Das tut mir leid. Natürlich übernehme ich deinen Dienst.«
»Es sieht alles ruhig aus. Ich gebe deine Nummer weiter, aber ich bin mir sicher, dass du das Spiel in Ruhe sehen kannst. Ansonsten liegt nicht viel an. Die Mappe mit den laufenden Vorgängen lege ich dir auf den Schreibtisch.«
»Alles klar. Und alles Gute für deine Mutter.«
»Danke, Sabine, du hast mindestens zwei gut bei mir.«
Nachdenklich legte Sabine auf. Wenn die Eltern älter werden, dachte sie, kommen plötzlich ganz neue und andere Sorgen auf uns zu. Sie hoffte inständig, dass es dienstlich an diesem Wochenende tatsächlich ruhig bleiben würde.
»Probleme?«, fragte Jürgen Fischer und strich sich über das stoppelkurze Haar. Dabei verzog er das Gesicht.
»Immer noch Schmerzen?«
»Nur wenn ich den Arm falsch bewege, was immer wieder vorkommt, weil ich einfach nicht daran denke.«
Vor ein paar Monaten war Hauptkommissar Fischer von einem Verrückten angegriffen und zusammengeschossen worden. Er hatte trotz der schweren Verletzungen überlebt und befand sich nun in ambulanter Reha. Es würde noch ein Weilchen dauern, hatte die Physiotherapeutin gesagt, bevor er wieder zurück zum KK 11 könne. In den ersten Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt hatte Fischer die freie Zeit genossen, doch nun sehnte er sich zurück zur Dienststelle und zu seinen Kollegen.
Sabine erläuterte ihren beiden Kollegen den Grund für Rolands Anruf.
»Wäre zu blöd, wenn uns dein Bereitschaftsdienst das Wochenende verderben würde«, meinte Oliver Brackhausen und führte die beiden zu ihren Plätzen.
Sabine nickte nur.
Die Krefelder Pinguine dominierten das Spiel, aber vor dem Ende des ersten Drittels erzielten die Gegner ein Tor.
»Verdammt!« Oliver sprang auf. »Das hätte nicht sein müssen!«
»Wir haben noch zwei Drittel.« Jürgen Fischer grinste. »Also beruhige dich und hol uns Bier.«
Oliver war gerade weg, als Sabines Handy klingelte. Fast hätte sie es überhört, denn die Fans im Königpalast skandierten ihre Schlachtrufe. Zum Glück hatte sie das Mobiltelefon in die Hosentasche gesteckt und spürte den Vibrationsalarm.
»Thelen.« Wieder musste sie sich das andere Ohr zuhalten. »Okay«, sagte sie schließlich. »Ich komme sofort. Wo ist das? Inrath? Ist hier um die Ecke, ich brauche nicht lange.«
»Was ist passiert?«
»In einer Kleingartenanlage wurden Schüsse gemeldet. Die Schutzpolizei ist schon unterwegs.«
Fischer stand auf. Sabine sah ihn überrascht an.
»Ich komme mit«, sagte er. »Wenn ich darf.«
»Na klar.« Sabine lächelte. »Aber du musst im Wagen warten.«
Sie schaute sich nach Oliver um, doch von ihm war nichts zu sehen. Der Königpalast war gut gefüllt, fast ausverkauft. Die Fans drängten sich zu den Ausgängen, um Bier oder Würstchen zu holen.
»Verdammt.«
Fischer zog die Augenbrauen hoch.
»Keine Spur von Oliver, aber er hat den Wagenschlüssel.« Sabine zuckte ratlos mit den Schultern.
»Ruf ihn doch an.« Jürgen Fischer schmunzelte.
Sabine schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und drückte die Kurzwahl auf dem Handy. »Oliver, vergiss das Bier, ich bin rausgerufen worden. Du kannst hierbleiben, ich brauche nur den Schlüssel.«
»Kommt gar nicht in Frage«, sagte Oliver, als sie ihn im Foyer trafen. »Ich lass dich doch nicht alleine zu einer Schießerei fahren. Wo ist das überhaupt?«
»In einer Schrebergartenanlage hier in der Nähe. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Schießerei ist. Eine ältere Frau hat Schüsse gemeldet. Vielleicht spielen aber auch nur Jugendliche mit einer Blechdose Fußball oder so.«
Vor der Gartenanlage warteten zwei Streifenwagen auf sie.
»Wir haben einen Toten«, sagte einer der Polizisten. »Ich habe schon den Gerichtsmediziner angefordert.«
»War der Notarzt da?«
»Ja, und ist auch schon wieder weg.«
»Ist der Mann erschossen worden?«
»Das kann ich nicht genau beantworten. Es gibt zwar Blut
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