Rebecka Martinsson 05 - Denn die Gier wird euch verderben
hast diese Pastoren umgebracht, das war doch hier in der Gegend von Kurravaara.«
Und irgendwo in Schweden wachsen diese Kinder heran, dachte Rebecka. Die keinen Vater haben. Die mich hassen.
Sie schaute ihren leeren Notizblock an.
»Möchtest du mir sonst noch etwas erzählen? Über Sol-Britt? Wie war sie in der letzten Zeit? Hat sie sich aus irgendeinem Grund Sorgen gemacht?«
»Nein. Oder ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich hätte es sicher nicht bemerkt. Ich sitze bei meiner Mutter und versuche, sie zu füttern. Wache bei ihr. Vor Kurzem war sie noch hier. Hat ihren Haushalt gemacht und geputzt.«
Ihr Blick überflog den Raum.
»Jetzt ist sie nur noch ein Vögelchen. Du ähnelst deiner Mutter.«
Rebecka spürte, wie sie sich innerlich verhärtete.
»Danke, dass du dir Zeit genommen hast«, sagte sie mit freundlicher Stimme und ließ sich nichts anmerken.
Maja Larsson hörte mit Spülen auf und drehte sich um. Ihr Blick ging Rebecka durch und durch.
»Na gut«, sagte Maja. »So ist das also. Aber deine Mutter war nicht schlecht. Und dein Vater war kein Opfer. Wenn du je darüber reden willst, dann kannst du gern zum Kaffee vorbeikommen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst«, sagte Rebecka und stand auf. »Wir melden uns wegen Marcus.«
Sie schaute auf die Uhr. Zeit, zur Obduktion zu fahren.
W IE IMMER WAR ES KALT im Obduktionssaal. Rebecka Martinsson und Anna-Maria Mella machten keine Anstalten, ihre Mäntel auszuziehen. Der schwache Geruch von verwesenden Leichnamen und der deutlichere von starken Reinigungmitteln und reinem Alkohol versteckten sich unter dem Rauch von Oberarzt Pohjanen.
Der saß mit der Zigarette in der einen und dem Diktiergerät in der anderen Hand auf seinem Arbeitsstuhl. Der war aus Metall und hatte kleine Räder, wie das Skelett eines Bürostuhls ohne Rückenlehne. Anna-Maria ahnte, dass er nur noch selten aufstand. Sie hatte gehört, dass er seit einem Jahr nicht mehr Auto fuhr. Das war gut. Im Verkehr war er sicher lebensgefährlich. Immer so müde, sicher verbrachte er über die Hälfte seiner Arbeitstage auf dem Sofa im Pausenzimmer. Weniger und weniger Pohjanen, mehr und mehr Krebs. Sie empfand plötzlich unerklärlichen Ärger auf ihn.
Unter dem grünen Kittel trug er ein Madonna-T-Shirt. Das Bild der durchtrainierten Sängerin mit einem Zylinder auf den blonden Locken war eine Beleidigung für seine eigene leblose Haut. Die Ringe unter seinen Augen waren dunkel, fast blau.
Anna-Maria hätte gern gewusst, wie Madonna an seinem Leib gelandet war. Sicher war das T-Shirt ein Geschenk gewesen. Von seiner Tochter. Oder vielleicht seiner Enkelin. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er wusste, wer Madonna war.
Sol-Britt Uusitalo lag auf dem Stahltisch mitten im Raum. Pohjanens blutige Latexhandschuhe lagen neben dem geöffneten Körper.
Ein Stück weiter weg sägte die Forensikerin Anna Granlund den Schädel eines anderen Toten auf. Das Geräusch der motorisierten Kreissäge, die sich durch den Schädelknochen fraß, jagte Anna-Maria einen Schauer durch den Leib. Sie winkte Anna Granlund zu, und die nickte: bald fertig. Nach einer Weile war sie dann so weit. Schaltete die Säge aus, nahm die Schutzbrille ab und grüßte.
Sie macht jetzt alles, dachte Anna-Maria und sah Anna Granlund an. Alles bis auf das Denken.
»Rauchst du hier drinnen?«, fragte Rebecka Pohjanen, sowie die Säge verstummt war. »Du wirst noch gefeuert.«
Pohjanen stieß als Antwort ein heiseres »Hä, hä« aus. Alle wussten, dass er schon vor Jahren wegen seiner Krankheit in Pension hätte gehen können. Er hatte die absolute Narrenfreiheit. Wenn er nur noch einen weiteren Tag blieb.
»Wollt ihr petzen?«, krächzte er zufrieden.
»Ich dachte, du könntest ein bisschen was erzählen«, sagte Anna-Maria mit einem Blick auf die Tote.
»Ja, ja«, keuchte Pohjanen.
Er wedelte abweisend mit der Hand, wie um klarzustellen, dass sie den obligatorischen Tanz überspringen konnten, der immer kam, wenn sie Fragen stellen wollte, ehe er fertig war. Das Gerede, wenn er wütend wurde, weil sie störte und ihn nicht in Ruhe arbeiten ließ. Und sie, die ihn dann besänftigte. Und er, der sich besänftigen ließ.
»Zuerst habe ich an eine Nagelpistole gedacht«, sagte er. »Ich habe das zweimal gesehen, die Nägel verschwinden dann in der Haut. Und man blutet auch sehr wenig, genau wie hier. Unter der Voraussetzung, dass die ersten Schüsse tödlich waren. Aber in den Wunden steckten ja
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