Red Rabbit: Roman
ist links, und du musst immer schön auf der falschen Straßenseite fahren.«
»Okay«, antwortete sie mürrisch. Ihr war klar: Sie würde es sowieso lernen müssen. Warum also nicht gleich jetzt, auch wenn dieses Jetzt auf so unangenehme Weise vor ihr auftauchte wie ein Guerillero aus dem Nichts. Auf der Straße, die aus ihrem kleinen Neubauviertel hinausführte, kamen sie an einer Arztpraxis vorbei und dann an dem Park mit den Schaukeln, die den Ausschlag für Jacks Entscheidung gegeben hatten, hierher zu ziehen. Denn Sally schaukelte für ihr Leben gern und würde hier bestimmt schnell neue Freunde finden. Und Klein Jack bekäme ein bisschen Sonne ab. Zumindest im Sommer.
»Die nächste Straße links abbiegen, Schatz. Das ist wie bei uns nach rechts. Es kommt dir keiner entgegen.«
»Ich weiß«, sagte Dr. Caroline Ryan, der es lieber gewesen wäre, wenn Jack ein Taxi gerufen hätte. Es gab noch jede Menge im Haus zu tun, was wichtiger war als Fahrstunden. Nun, immerhin war’s ein flottes Auto, wie sie mit einem kurzen Tritt aufs Gaspedal feststellen konnte. Wenngleich längst nicht so spritzig wie ihr alter Porsche.
»Am Fuß des Hügels geht’s nach rechts.«
»Na dann …« Sei’s drum. Sie wollte sich hier schnell zurechtfinden, zumal es ihr gegen den Strich ging, andere nach dem Weg fragen zu müssen. Ihr Selbstverständnis als Ärztin verlangte, dass sie alles im Griff hatte.
»So, jetzt«, sagte Jack. »Und denk daran: Du kreuzt die Gegenspur.« Im Augenblick kam ihnen kein Fahrzeug entgegen. Aber auf dem Rückweg, den sie ohne ihn würde zurücklegen müssen, waren die Straßen womöglich voll, und er beneidete sie nicht um den bevorstehenden Versuch, sich allein durchzuwursteln. Nun, der sicherste Weg, schwimmen zu lernen, war der Sprung ins tiefe Wasser, vorausgesetzt, man ging nicht unter. Außerdem waren die Briten freundliche Leute. Wenn nötig, würde sich einer finden, der sie nach Hause zurücklotste.
Der Bahnhof bestand aus einem wenig ansehnlichen Ziegelgebäude. Zu den Bahnsteigen gelangte man durch eine Unterführung. Ryan löste ein Ticket, für das er in bar bezahlte, und las auf einer Hinweistafel, dass es für Pendler auch ermäßigte Punktekarten gab. Dann kaufte er sich ein Exemplar des Daily Telegraph . Damit würde er in den Augen der anderen als ein eher konservativer Zeitgenosse erscheinen. Liberale Gesinnte lasen den Guardian . Die Boulevardblättchen mit den nackten Frauen auf der dritten Seite ließ er außer Acht. Wer wollte sich so etwas schon zum Frühstück zumuten?
Er musste rund zehn Minuten auf dem Zug warten, der dann – als ein Zwischending zwischen Intercity- und U-Bahnzug – erstaunlich leise einrollte. Sein Erster-Klasse-Ticket berechtigte ihn zu einem Sitzplatz in einem kleinen Abteil. Das Fenster ließ sich mit Hilfe eines Lederriemens hoch- und runterziehen, und die Tür des Abteils öffnete sich nach außen auf dem Bahnsteig, sodass ihm der Umweg durch einen engen Seitengang erspart blieb. Nachdem er all diese
Besonderheiten registriert hatte, setzte sich Ryan auf die Plüschbank und nahm die Zeitung zur Hand. Wie in Amerika war gut die Hälfte der Titelseite den Nachrichten aus der Lokalpolitik vorbehalten. Ryan las zwei Artikel, um sich auf den hiesigen Klatsch und Tratsch einzustimmen. Für die Strecke bis zur Victoria Station waren laut dem Fahrplan vierzig Minuten veranschlagt. Nicht schlecht, und sehr viel besser, als wenn man den ganzen Weg mit dem Auto zurücklegen müsste, hatte Dan Murray gesagt. Außerdem sei es in London kaum möglich, einen Parkplatz zu finden.
Ryan genoss das sanfte Dahingleiten der Bahn. Der staatliche Betreiber hatte die Schienen offenbar gut gewartet. Ein Schaffner kontrollierte seine Fahrkarte und lächelte. Zweifellos hatte er ihn auf Anhieb als Yankee identifiziert. Die am Fenster vorbeiziehende Szenerie lenkte Jack bald von der Zeitungslektüre ab. Die Landschaft war grün und saftig. Die Briten liebten ihre Rasenflächen. Die Reihenhäuser waren noch kleiner als jene in der Gegend in Baltimore, wo er als Kind gelebt hatte. Die Dächer schienen mit Schiefer gedeckt zu sein, und, Himmel, die Straßen waren hier verflixt eng! Da musste man beim Autofahren höllisch aufpassen, um nicht unversehens in irgendeinem Wohnzimmer zu landen. Das wäre wohl selbst den Briten zu viel, die ansonsten von den Yankees einiges gewohnt waren.
Über den erfreulich blauen Himmel zogen ein paar flockige Wolken. Bislang hatte Jack
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