Red Rabbit: Roman
nicht viele. KGB-Offiziere kamen ohne Skrupel sehr viel besser zurecht. Nur linientreu mussten sie sein, und Befehle von oben sollten für sie die Kraft göttlichen Willens haben. Aleksei Nikolai’tsch dachte im Augenblick nur an den potenziellen politischen Fallout, den die Explosion einer solchen Bombe verursachen würde. Rom war zwar über zweitausend Kilometer von Moskau entfernt, doch das würde in einem solchen Fall wahrscheinlich nicht weit genug sein. Wie auch immer, solche Fragen zu stellen gehörte nicht zu seinem Aufgabengebiet, und er versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken – fürs Erste jedenfalls. Wie um ihn abzulenken, schnarrte plötzlich die Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch des Vorsitzenden. Andropow drückte den Schalter.
»Ja?«
»Ihre erste Verabredung ist da, Genosse Vorsitzender«, meldete der Sekretär.
»Wie lange werden Sie brauchen, Aleksei, was meinen Sie?«
»Wahrscheinlich mehrere Tage. Für eine erste Einschätzung, versteht sich. Ich nehme an, danach wären dann auch spezifischere Daten fällig. Sehe ich das richtig?«
»Korrekt. Aber für den Anfang reicht eine allgemeine Einschätzung«, sagte Juri Wladimirowitsch. »Vorläufig ist noch nichts Konkretes geplant.«
»Zu Befehl, Genosse Vorsitzender. Ich werde sofort in die Nachrichtenabteilung hinuntergehen.«
»Ausgezeichnet. Danke, Aleksei.«
»Ich diene der Sowjetunion«, antwortete er automatisch. Oberst Roschdestwenski nahm wieder Haltung an und machte dann kehrt in Richtung Ausgang. Wie die meisten anderen auch musste er sich ducken, um durch die Geheimtür, die längst keine mehr war, in das Vorzimmer zu gelangen. Von dort bog er nach rechts in den Korridor ein.
Wie kommt man an den Papst heran? An diesen polnischen Priester? Eine theoretisch interessante Frage. Der KGB war voller Theoretiker und Akademiker, die sich über alles Mögliche Gedanken machten, angefangen von fiktiven Komplotten gegen ausländische Regierungschefs – die ja im Falle eines Krieges eine realistische Option wären – bis hin zu Überlegungen, wie sich Unterlagen über Patienten aus Krankenhäusern am geschicktesten stehlen und verwerten ließen. Das Spektrum solcher Gedankengänge war breit gestreut und kannte keine Grenzen.
Dem Gesicht des Obersts war nicht viel abzulesen. Er trat vor den Fahrstuhl, drückte den Rufknopf und wartete, bis sich die Tür öffnete, was vierzig Sekunden später der Fall war.
»Tiefparterre.« Sämtliche Fahrstühle – neuralgische Orte, die nicht unbeaufsichtigt bleiben durften – waren mit geschultem Wachpersonal besetzt, die ihren Fahrgästen auf die Finger schauten. Ein jeder, der in diesem Gebäude verkehrte, stand unter Generalverdacht. Schließlich beherbergte es ungemein viele Geheimnisse. In dieses Haus Undercover-Agenten einzuschleusen war natürlich eines der obersten Ziele aller feindlichen Geheimdienste. Entsprechend argwöhnisch war man hier auf der Hut, und jedem noch so läppischen Gespräch wurde unterstellt, dass es versteckte Informationen enthielt. Zwar gab es auch hier Freundschaft und
Geselligkeit, man plauderte über familiäre Dinge, über Sport und Wetter, über den Plan eines Autokaufs oder den Erwerb einer Datscha auf dem Land, doch über die Arbeit sprach man, außer vielleicht mit den engsten Kollegen, nur in Sitzungsräumen, wo solche Themen der Vorschrift nach hingehörten. Doch es kam Roschdestwenski nie in den Sinn, dass gerade diese Restriktionen die Leistungsfähigkeit seiner Behörde in erheblichem Maß beeinträchtigten.
Er musste eine Sicherheitskontrolle passieren, um in die Nachrichtenzentrale zu gelangen. Der dort postierte Unteroffizier warf einen Blick auf seinen Ausweis und winkte ihn durch, ohne eine Miene zu verziehen.
Roschdestwenski war natürlich schon oft genug hier unten gewesen und allen Mitarbeitern namentlich bekannt, so wie er auch sie kannte. Die Schreibtische waren so gestellt, dass viel Platz dazwischen blieb. Das monotone Hintergrundgeräusch der Fernschreiber überlagerte jeden in normaler Zimmerlautstärke geführten Wortwechsel, der somit schon aus einem Abstand von drei bis vier Metern nicht mehr zu belauschen war, auch wenn man die Ohren noch so sehr aufsperrte. Dieses wie jedes andere Detail in der Einrichtung des Raumes hatte sich über viele Jahre entwickelt und bewährt, sodass die Sicherheitsvorkehrungen inzwischen nahezu perfekt waren. Trotzdem streiften die Kontrolleure aus der dritten Etage nach wie vor mit
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