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- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

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Titel: - Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Blakley-Cartwright , David Leslie Johnson
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sollte.
    »Die Hühner versorgen uns mit Eiern«, rief er ihnen ins Gedächtnis. » Wir können nur die Ziege opfern, etwas anderes können wir uns nicht leisten.«
    Valerie war bestürzt und fassungslos. Lucie kniete traurig nieder, kraulte der Ziege mit ihren kleinen Fingern den Hals und zupfte sie sanft an den Ohren, was sich Tiere nur von kleinen Kindern gefallen lassen. Und Flora probierte ihre winzigen, frisch gewachsenen Hörner aus und stupste damit gegen Lucies Hand.
    Suzette blickte auf die Ziege und dann erwartungsvoll zu Valerie.
    » Verabschiede dich von ihr, Valerie«, sagte sie und legte eine Hand auf den dünnen Arm ihrer Tochter.
    Aber Valerie konnte nicht – irgendetwas hielt sie davon ab.
    »Valerie!« Lucie sah sie flehentlich an.
    Sie wusste, dass ihre Mutter und ihre Schwester sie für herzlos hielten. Nur ihr Vater verstand und nickte ihr zu, als er die Ziege an einem dünnen Strick wegführte. Floras Nüstern blähten sich und ihre Augen blickten scharf vor Unbehagen. Valerie hasste ihren Vater für sein Mitleid und seinen Verrat, aber sie hielt ihre Tränen zurück.
    Sie war auf der Hut. Niemand durfte sie weinen sehen.

    In dieser Nacht lag Valerie wach, nachdem ihre Mutter sie zu Bett gebracht hatte. Mondlicht strömte durchs Fenster und zerfloss auf den Dielen zu einem langen Pfeiler.
    Sie dachte angestrengt nach. Ihr Vater hatte Flora, ihre geliebte Zeige, fortgebracht. Sie war dabei gewesen, als Flora auf dem Boden im Stall geboren wurde, als Cesaire dem feuchten Zicklein unter dem Gemecker der Geiß auf die Welt geholfen hatte.
    Sie wusste, was sie zu tun hatte.
    Lucie kam ihr nach, als sie aus dem warmen Bett schlüpfte, die Dachbodenleiter hinabkletterte und zur Vordertür schlich.
    » Wir haben etwas zu erledigen!«, flüsterte Valerie eindringlich und winkte der Schwester, ihr zu folgen.
    Aber Lucie blieb zurück, schüttelte ängstlich den Kopf und versuchte, Valerie wortlos zum Bleiben zu bewegen. Valerie wusste, dass sie nicht wie ihre ältere Schwester in der Tür kauern und sich an ihrem Hirschfell festhalten konnte. Sie wollte nicht tatenlos zusehen, wie das Leben seinen Gang nahm. Doch so wie Lucie immer Valeries Übermut bewundert hatte, so bewunderte Valerie die Besonnenheit ihrer Schwester.
    Valerie hätte ihre ängstliche Schwester jetzt am liebsten zugedeckt und zu ihr gesagt, sie könne ganz unbesorgt sein: »Sch!, liebe Lucie, morgen früh ist alles wieder gut.« Stattdessen drehte sie sich um, drückte mit dem Daumen den Riegel nach unten und ließ ihn leise in den Türpfosten einschnappen, ehe sie in die Kälte hinausschlüpfte.

    Das Dorf war in dieser Nacht besonders unheimlich. Der helle Mondschein verlieh ihm die Farbe sonnengebleichter Muscheln. Die Häuser ragten hoch empor wie große Schiffe und die Äste der Bäume stachen wie dornenbewehrte Masten gegen den Nachthimmel ab. Valerie ging zum ersten Mal allein durch das Dorf, und ihr war, als entdecke sie eine neue Welt.
    Um schneller bei dem Altar zu sein, nahm sie eine Abkürzung durch den Wald. Sie schritt über Moos, das sich unter ihren Füßen anfühlte wie in Milch aufgeweichtes Brot, und sie schlug einen Bogen um Pilze, die aussahen wie Brandblasen und oben braune Flecken hatten, als wären sie mit Zimt bestäubt.
    Etwas griff aus dem Dunkeln nach ihr und blieb wie dünne, nasse Seide an ihrer Wange kleben. Eine Spinnwebe. Ihr war, als krabbelten überall auf ihrem Körper unsichtbare Insekten. Sie strich sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte, die Fäden wegzuwischen, aber sie waren zu dünn, und ihre Hand fuhr ins Leere.
    Der Vollmond stand reglos über ihr.
    Sobald sie die Lichtung erreichte, schritt sie vorsichtiger aus. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie, dasselbe Gefühl, das sie immer hatte, wenn sie ein scharfes Messer putzte – das Gefühl, dass die kleinste Unachtsamkeit schlimme Folgen haben konnte. Die Dorfbewohner hatten eine Fallgrube ausgehoben, angespitzte Holzpfähle in den Boden der Grube getrieben und zur Tarnung Äste und Gras darübergebreitet. Valerie wusste, dass die Falle hier irgendwo war, aber man hatte sie immer in sicherem Abstand drum herum geführt.
Wahrscheinlich war sie schon daran vorbei, aber ganz sicher war sie sich nicht.
    Ein vertrautes Meckern wies ihr den Weg, und gleich darauf erblickte sie Flora, ein Stück weiter vorne. Mutterseelenallein stand sie auf der vom Mond in knochenbleiches Licht getauchten Lichtung, zitterte im Wind und schrie. Ein Bild des

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