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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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flanierten links und rechts auf den breiten Gehsteigen, als ob nichts geschehen wäre. Es waren nur mehr einige rostbraune Blutlachen auf der Straßenpflasterung zu sehen. Und auch diese letzten Zeugnisse der Empörung zerrannen im leise einsetzenden Nieselregen.

VIII.
    Nechyba fröstelte. Da er in Ruhe nachdenken wollte, lenkte er seine Schritte ins nahe Café Landtmann. Er wurde vom Ober freundlich begrüßt und zu einer der ringseitigen Fensterlogen geleitet. Auf die Frage, was er trinken wolle, antwortete er geistesabwesend: »Einen Goldblatt.« Eine Bestellung, die der Ober an einen der Zuträger weitergab und ihn zu folgender Frage veranlasste: »Sie kennen den Doktor Goldblatt?«
    Nechyba schreckte aus seinen Grübeleien und murmelte grantig: »Sicher. Länger als Sie …«
    »Da haben Sie wahrscheinlich recht, mein Herr«, erwiderte der Kellner. »Der Herr Redakteur ist seit circa einem Jahr bei uns regelmäßig zu Gast.«
    »So, so«, brummte Nechyba, »deshalb hab ich ihn in letzter Zeit nicht mehr im Café Sperl angetroffen.«
    »Soviel mir bekannt ist, wohnt der Herr Redakteur ein Stückerl außerhalb des Rings im 8. Bezirk. Apropos Ring. Haben Sie die Asozialen vorhin problemlos vertreiben können, Herr Inspector? Es ist ja wirklich eine Schande, so was! Vor unserem eleganten Kaffeehaus demonstrieren diese Proleten. Das ist ja direkt geschäftsschädigend. Wenn das so weitergeht, traut sich bald kein Mensch mehr ins Landtmann. Einsperren, aburteilen und aufhängen! So sollte man mit diesem sozialdemokratischen Gesindel verfahren. Und vor allem sollte es eines geben: keinen Pardon! Keinen Pardon …«
    Nechyba schnaufte erleichtert auf, dass der Redefluss des Obers unterbrochen wurde, als der Zuträger den ›Goldblatt‹ servierte. Um den Oberkellner samt seinen ekelhaften Redensarten loszuwerden, stand er auf, zog sich den Mantel aus, nahm die Melone ab, drückte ihm beides in die Hand und sagte: »Seien S’ so gut und bringen S’ das für mich zur Garderobe.«
    Damit war er den aufdringlichen Kerl los und schlürfte mit Genuss seinen Kaffee – einen Türkischen ohne Sud mit einem Schuss Trebernen. Goldblatt logierte nun im 8. Bezirk. Das war also der Grund dafür, dass er ihn nicht mehr im gemeinsamen Stammcafé antraf. Früher hatte Goldblatt mehr oder weniger im Café Sperl gewohnt. Dorthin hatte er sich sogar die Post zustellen lassen. Seit Nechyba verheiratet war, ging er nicht mehr regelmäßig ins Kaffeehaus, und so hatte er damals erst nach einigen Wochen das Verschwinden Goldblatts registriert. Da niemand wusste, wo sich der Redakteur aufhielt, ließ Nechyba die Sache auf sich beruhen und vergaß allmählich seinen langjährigen Tarockpartner. Umso erfreuter war er nun, dass er per Zufall das neue Stammcafé Goldblatts entdeckt hatte. Er erinnerte sich an die unzähligen Kartenpartien, die er im Laufe von vielen Jahren mit Goldblatt, dem Scharfrichter Lang und Kratochwilla, dem Cafetier des Sperls, gespielt hatte. Mittlerweile war er nur mehr ein fallweiser Gast in diesem Café – meistens verbrachte er die Abende daheim bei seiner Frau. Als er so nachdachte, geriet er ins Sinnieren über die Auswirkungen der Ehe auf das Leben eines Mannes. Sicher gab es genügend Ehemänner, die sich nichts scherten und die ihre Frauen allein daheim ließen, um die Nächte in Kaffeehäusern und Beisln zuzubringen. Doch das war nicht seine Art. Schließlich hatte er erst im reifen Alter von fünfundvierzig Jahren geheiratet. Warum er eigentlich geheiratet hatte …?
     
    »Ja Kruzitürken! Ist man denn vor Ihnen nirgendwo sicher? Verfolgen Sie mich jetzt schon in mein neues Stammcafé?« Mit diesem Vorwurf nahm Goldblatt in Nechybas Fensterloge Platz.
    Der Inspector schaute den Redakteur verwundert an; wie ein Ochs das neue Tor. Er fasste sich aber schnell wieder und begann über beide Backen zu grinsen. »Goldblatt. Gerade hab ich an Sie gedacht.«
    »Ah, deshalb hab ich seit einer Viertelstunde Schluckauf.«
    »Sehen Sie, Ihren skurrilen Humor hab ich auch vermisst.«
    »Wollen S’ mir schmeicheln? Oder brauchen S’ was von mir?«
    Der Ober kam und fragte: »Wie immer, Herr Doktor …?« Nechyba schloss sich dem ›Wie immer‹ an, da er zu Recht davon ausging, dass es sich dabei nur um einen ›Goldblatt‹ handeln konnte. Bis die Kaffees serviert wurden, saßen sich die beiden Männer schweigend gegenüber. Wortlos schlürften sie dann das heiße, alkoholhaltige Getränk. Nechyba grinste neuerlich

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