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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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und bemerkte in ironischem Tonfall: »Sagen Sie, Goldblatt, was ist Ihnen da eigentlich eingefallen, als Sie diesen Aufhänger vom Kannibalismus in Wien geschrieben haben? Das ist doch ein aufgelegter Blödsinn. Sind solche Artikel ein erstes Anzeichen von Altersdemenz oder glauben Sie, dass Ihre Leser wirklich so meschugge sind und das für bare Münze halten?«
    »Meschugge«, schnaubte Goldblatt verächtlich und seine Augen blitzten kampflustig hinter den runden Brillengläsern. »Nehmen Sie gefälligst keine jiddischen Worte in den Mund, Nechyba. Das passt nicht zu Ihnen. Und was die Altersdemenz betrifft, so scheint die eher im Polizeigebäude um sich zu greifen.«
    »Na, na, na … Wer wird denn gleich so angerührt sein? Wer so einen reißerischen Sensationsjournalismus betreibt wie Sie, der sollte schon ein bisserl eine dickere Haut haben. Es ist ja unglaublich, was Sie da zusammengeschmiert haben.«
    »Ich schmiere nicht, ich schreibe. Und zwar beinhart recherchierte Tatsachen. Für die Kannibalismusgeschichte habe ich erstens einen Zeugen und zweitens ein Corpus delicti.«
    »Vielleicht ein menschliches Ripperl oder gar einen Finger, so wie bei Hänsel und Gretel?«
    »Sie sagen es, Nechyba! Es ist ein Finger. Ein Finger, der gut gekühlt am Fensterbrett meines Zimmers in der Redaktion liegt. Zu dem Finger gibt’s übrigens auch eine Hand und einen Unterarm, der ziemlich stümperhaft vom restlichen Körper abgetrennt wurde …«

IX.
    Sie saß im Wohnzimmer beim flackernden Schein einer Petroleumlampe und flickte ihre Wäsche. Dies war notwendig geworden, da sie aufgrund des akuten Geldmangels die Wäsche nicht mehr zu einer Näherin bringen konnte. Sie versuchte, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Es quälte sie die Sorge, wovon sie sich Essen kaufen und die Wohnung erhalten sollte. Und weil ihr das alles unablässig durch den Kopf ging, stach sie sich schlussendlich mit der Nähnadel in den Finger. Dabei kam ihr Vestenbrugg in den Sinn, der immer wieder darum gebettelt hatte, ihn zu quälen. Mit Schaudern erinnerte sie sich daran, wie sie seine Brustwarzen mit Nähnadeln malträtieren musste. Gott, war sie froh, dass das zu Ende war. Gleichzeitig erinnerte sie sich aber mit Wehmut an die materielle Sicherheit, die ihr das Verhältnis mit Vestenbrugg geboten hatte.
    Als sie so dasaß, ihren gestochenen Finger lutschte und an frühere Zeiten dachte, klopfte es an ihre Wohnungstür. ›Hoffentlich ist das nicht die Hausbesitzerin, die die Miete für den nächsten Monat kassieren will!‹, dachte sie.
    Sie zögerte, zur Tür zu gehen, doch es klopfte wieder. Diesmal wesentlich energischer. Steffi Moravec war hin und her gerissen. Einerseits wurde sie immer neugieriger, wer da Einlass begehrte. Andererseits hatte sie Angst vor der Mieteintreiberin. Schließlich siegte ihre Neugierde. Sie lief zur Tür und riss sie mit einem Ruck auf.
     
    Zu ihrer Überraschung sah sie einen elegant gekleideten, älteren Herrn samt Diener im Hausflur stehen. Dann hörte sie Collredis Stimme: »Fräulein Moravec, guten Abend. Ich hoff, dass ich nicht ungelegen komme.«
    »Ganz und gar nicht, Exzellenz. Ein bisserl überraschend vielleicht …«
    »Überraschungen sind die Würze des Lebens, meine Liebe! Darf ich eintreten?«
    »Selbstverständlich, Exzellenz.«
    Der Graf betrat das Vorzimmer, sah sich prüfend in der Biedermeierwohnung um und registrierte mit Wohlgefallen die ordentliche, wenn auch nicht prunkvolle Einrichtung. Wie beiläufig ergriff er Steffis Hand, zog sie zu sich und fragte: »Haben Sie Lust auf ein kleines Souper?«
    »Ja, schon. Aber ich muss mich erst fein machen. Wenn Exzellenz mich ausführen wollen …«
    »Aber ich bitte Sie! Wieso sollen wir ausgehen? Wir können doch hier in Ihrem gemütlichen Heim soupieren, ganz entre nous. Wenn Sie erlauben, holt mein Kammerdiener jetzt den Champagner und die Charcuterie, die wir mitgebracht haben.«
    »Exzellenz sind aber ganz ein Schlimmer. Besuchen mit Champagner und Delikatessen im Gepäck das Mädel eines Ihrer besten Freunde …«
    »Ach wissen Sie, der Vestenbrugg und ich, wir haben schon so viel miteinander erlebt, dass er mir das sicher nicht übel nimmt. Aber vielleicht kommt er sowieso noch vorbei … das wär doch charmant! Ich hab eh für drei Personen einkaufen lassen.«
    Steffi zuckte zusammen und entzog dem Grafen ihre Hand. Inzwischen brachten der Kammerdiener und zwei weitere Bedienstete

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