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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wohlwollend dazu geäußert.«
    Collredi sagte eine Weile nichts. Stattdessen zupfte er an seinem Backenbart und bemerkte mit einem maliziösen Lächeln: »Vom Obersthofmeisteramt war aber kein Vertreter in diesem Spezialkomitee. Und soviel ich weiß, wurde das Obersthofmeisteramt auch in so manchen anderen Fragen bezüglich der geplanten Kinderhuldigung nicht konsultiert …«
    Tomolas Kinn samt Spitzbart wurde eingezogen, die Röte verschwand aus seinem Gesicht. Er bemerkte, dass er gerade im Begriff war, sich in Opposition zu Seiner Durchlaucht zu stellen. Und das war – gelinde ausgedrückt – unklug. Denn Alfred Fürst von Montenuovo hatte den Ruf, cholerisch, machtbewusst sowie streit- und rachsüchtig zu sein. Tomola erkannte, dass er die Sache zu einem gütlichen Ende bringen musste, anderenfalls würde Montenuovo wahrscheinlich die gesamte Kinderhuldigung sowie weitere Festakte der Stadt Wien anlässlich des allerhöchsten Jubiläums verhindern. Das konnte er auf keinen Fall riskieren. Also erwiderte er mit leiser Stimme: »An welche zu ändernde Stelle haben Exzellenz gedacht?«
    Collredi schmunzelte und nahm das Machwerk zur Hand. Er blätterte gelangweilt darin und warf es schließlich vor Tomola auf den Tisch. Ganz ruhig, in verbindlichem Ton, erklärte er: »Seiner Durchlaucht und auch mir gefällt das ganze … wie soll ich sagen … Werk nicht. Absolut inakzeptabel ist aber der Anfang: Laut, Völker laut, zu höchst erhabnen Ruhme, Auf dass es alle hören, vom Kleinkind bis zur Muhme  … Das kann auf keinen Fall so bleiben. Ich bitte die Dichterin, zumindest diese beiden … äh … Verse zu ändern.«
    Marie Sidonie Heimel-Purschke stieß wiederum einen Zischlaut aus. Ihr Gesicht war weiß wie ein Stück Tafelkreide, ihre Knopfaugen verdrehten sich und sie kippte mit einem weiteren Zischer vom Sessel. Tomola sprang auf und beugte sich über die in Ohnmacht gefallene Frau. Collredi läutete nach seinem Kammerdiener. Der brachte Riechsalz, welches alsbald Wirkung zeigte und die Dichterin ins Hier und Jetzt zurückholte. Während dieser Vorgänge kritzelte Collredi gedankenverloren auf dem Titelblatt der Dichtung herum. Als Marie Sidonie Heimel-Purschke wieder aufrecht saß, eröffnete er ihr im Plauderton: »Meine liebe gnädige Frau, während Sie uns gerade für kurze Zeit verlassen haben, hat mich die Muse geküsst. Stellen Sie sich vor, ich hab eine praktikable Lösung für die ersten beiden Verse gefunden. Die werden wir in die Endfassung einfügen. Das zeigen wir nochmals Seiner Durchlaucht, und ich bin überzeugt, dass dann alles in bester Ordnung ist.«
    Marie Sidonie Heimel-Purschke gab nun erstmals artikulierte Laute von sich. »Aber Sie können … Sie können doch nicht einfach so in meine Dichtung eingreifen …«
    Collredi lächelte und erwiderte sanft: »Müssen, gnädige Frau. Müssen! Weil sonst können Sie sich Ihre ›Dichtung‹ – pardon – an den Hut stecken. Wenn Sie also bitte notieren wollen … Die Einstiegsverse der Dichtung ›Gott erhalte!‹ lauten wie folgt: Laut, Völker laut, zu wunderseltner Feier, Tön’ euer Sang, erklinge eure Leier. «
    Einen kurzen Augenblick war es völlig still im Raum, keinerlei Zischlaute ertönten. Nach dieser Schrecksekunde fiel Marie Sidonie Heimel-Purschke neuerlich in Ohnmacht.

IV.
    Im 9. Wiener Gemeindebezirk wartete Schöberl nun schon gute drei Stunden vor dem Haus, in dem Leo Goldblatt als Redakteur arbeitete. Mehrmals hatte er bereits versucht, sich einer Gruppe hineingehender Menschen anzuschließen, war aber immer am Portier gescheitert. Der rotgesichtige Zerberus hatte mit scharfem Auge Schöberls abgerissene Kleidung erspäht und ihm den Zutritt zum Gebäude verwehrt. Denn so ein Subjekt hatte seiner Meinung nach hier nichts zu suchen. Schöberl hatte es auch mit höflicher Rede und Argumentation versucht, doch der Portier blieb erbarmungslos. Er beschied ihm: »Wennst zum Herrn Doktor Goldblatt willst, musst draußen warten. Denn der ist nämlich noch nicht in der Redaktion. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass der Herr Redakteur mit dir etwas zu tun haben will. Also: Scher dich fort. Es hat eh keinen Sinn …«
    Da Schöberl wusste, dass es sehr wohl Sinn machte, mit dem Redakteur zu sprechen, wartete er draußen in der Kälte. Um den Kreislauf einigermaßen in Bewegung zu halten und nicht vor Kälte zu erstarren, ging er in einem fort auf und ab. Wie ein Hamster im Rad. Schließlich war er schon so sehr in dieser

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