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Reigen des Todes

Reigen des Todes

Titel: Reigen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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eigenen Süppchen. Dazu aß er einen Erdäpfelschmarren mit einer Portion Apfelkren. Der Tafelspitz, der in einer Suppenterrine serviert wurde, blieb so lange in der dampfend heißen Brühe, bis der Graf einen Teller Suppe mit scheibenförmig geschnittenen Karotten und gelben Rüben genossen hatte. Dann wurde ihm auf einem warm gehaltenen Teller eine schöne Scheibe Tafelspitz samt einem Gupf Erdäpfelschmarren, mit etwas Suppe übergossen, serviert. Seitlich flankiert wurde der Teller von einer Schale Apfelkren. Und da seine gräflichen Gnaden heute dringend Inspiration benötigten, orderte er ein Gläschen Weißwein; einen reschen Grünen Veltliner von den Hängen des Nußberges.
     
    Nachdem er gespeist hatte und sich ein weiteres Glas Grünen Veltliner einschenken ließ, entspannte sich Collredi. Er begab sich in die Bibliothek, griff zu einem seiner Lieblingsbücher und machte es sich in einem geräumigen Ohrensessel bequem. Bedächtig nahm er einen Schluck Wein und schlug die ›Venus im Pelz‹ von Leopold Sacher-Masoch auf. Mit Genuss las er von den Erniedrigungen des Erzählers, die dieser freiwillig auf sich nahm. Und während er las, empfand er rückwirkend höchste Befriedigung bezüglich des eigenen quälenden Vormittags. Die holprigen Verse der Marie Sidonie Heimel-Purschke fasste er nun als lustvolle Strafe auf. Er nahm einen weiteren Schluck Wein und schloss die Augen. Er stellte sich die Dichterin als prachtvolles Weib in einem dunklen, langen Pelzmantel vor. In einem düsteren Raum, in dem nur ein Kaminfeuer flackerte, quälte sie ihn unablässig mit ihren Versen. Ein wunderbar warmes Gefühl durchdrang ihn und er glitt hinüber in die Traumwelt eines Mittagschläfchens.
     
    »Exzellenz, aufwachen! Die Herrschaften sind da!«
    Collredi schreckte aus seinen Träumen, gähnte herzhaft, strich sich den Backenbart zurecht und murrte: »Führen Sie die beiden in den kleinen Salon.« Außerdem ließ er sich ein Lavoir und einen Krug mit kaltem Wasser bringen. Er wusch sich das Gesicht, seine Lebensgeister kehrten augenblicklich zurück. Er begab sich in den kleinen Salon, wo ihm als Erstes der eisgraue Spitzbart Tomolas ins Auge stach. Seine Erziehung nicht vergessend, wandte er sich aber zuerst der Dichterin zu und erschrak. Vor ihm stand die Antithese seines erotischen Traums. Ein kleinwüchsiges, schmächtiges Weib mit aufgestecktem Haar, Knopfaugen und einem bissigen Zug um den Mund. Trotzdem begrüßte sie der Graf mit einem »Küss die Hand, gnädige Frau«. Er bot beiden an, sich zu setzen, und machte es sich selbst hinter einem massiven Barocktisch bequem.
     
    »So … mein lieber Stadtrat, meine liebe gnädige Frau! Wir sind heute hier zusammengekommen, weil uns eine äußerst delikate Aufgabe übertragen wurde. Es handelt sich um die im Mai dieses Jahres von Seiner Exzellenz, dem Herrn Bürgermeister Lueger, und dem Wiener Stadt- und Gemeinderat geplante Kinderhuldigung anlässlich des sechzigsten Regierungsjubiläums Seiner Kaiserlichen Hoheit. Wie Sie sicher wissen, liegt die Genehmigung der Durchführung dieses Festes in den Händen Seiner Durchlaucht des Fürsten Montenuovo. Dieser wiederum ist – wie soll ich es ausdrücken? – ein bisserl unglücklich …«
    Tomolas Spitzbart schoss nach vorne. Das feiste Gesicht des Stadtrats färbte sich rötlich und mit lauter Stimme verlangte er Aufklärung über das »Unglücklichsein Seiner Durchlaucht«. Die Dichterin schwieg, doch ihr ohnehin schon verkniffener Mund verkrampfte sich merklich, sodass er eine auffallende Ähnlichkeit mit einem Hühnerpopo bekam.
    Nikolaus Graf Collredi lehnte sich weit in seinem Stuhl zurück, holte tief Luft und ließ die Katze aus dem Sack. »Um es auf den Punkt zu bringen: Seine Durchlaucht findet die Anfangsverse der Dichtung ›Gott erhalte!‹ für absolut unpassend, um nicht zu sagen für unmöglich.«
    Marie Sidonie Heimel-Purschke stieß einen Zischlaut aus, der dem eines mit kochendem Wasser gefüllten Teekessels glich. Leopold Tomolas Kopf wurde noch röter und seine Stimme noch lauter. »Ich bitte Exzellenz, Folgendes zu bedenken und auch Durchlaucht zur Kenntnis zu bringen: Die Dichtung ›Gott erhalte‹ wurde von einem Spezialkomitee, das aus den Gemeinderäten Philip, Stangelberger, Monsignore Laux, Bezirksschulinspector Professor Habernal und meiner Person bestand, unter drei Entwürfen ausgewählt. Auch Seine Exzellenz, der Herr Bürgermeister Lueger, hat die Dichtung begutachtet und sich

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