Reinen Herzens
Spiegelbild eine nicht sehr damenhafte Grimasse. Irgendwas würde ihr schon einfallen. Es war ja erst früher Morgen …
Beim Mittagessen hatte sie schließlich eine Idee: Sie würde ihrem Freund davon erzählen. Sie hatte Felix vor bald drei Monaten bei einer Lesung im Goethe-Institut kennengelernt. Wladimir Kaminer hatte aus seinem Buch Militärmusik gelesen. Sie hatte sich köstlich amüsiert über die Anekdoten aus dem Militärdienst des Autors in Russland. Die staubtrockene, fast monotone Vortragsart des Schriftstellers hatte das ihre dazu beigetragen. Der Mann, der neben ihr gesessen hatte, hatte ebenso gelacht wie sie. Ein sympathischer Typ, kurzes blondes Haar, kantiges Gesicht, dunkler Anzug, vielleicht Mitte dreißig. Ein Diplomat, hatte sie anfangs vermutet, immerhin waren einige Angehörige der deutschen, der österreichischen sowie der schweizerischen Botschaften anwesend, wie sie bei einem Blick durch das Publikum festgestellt hatte. Sie war gelegentlich mit ihrem Vater zu Botschaftsempfängen gegangen, wenn ihre Mutter keine Lust dazu gehabt hatte. Ihren Sitznachbarn hatte sie dort noch nie gesehen, vielleicht war er ja neu in der Stadt. Ein Wort hatte das nächste gegeben, sie hatten über die gleichen Witze gelacht und später, nach dem obligatorischen Glas Riesling im Institut, waren sie noch um die Ecke etwas trinken gegangen. Sie hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben, und er hatte nach diesem ersten Abend nicht locker gelassen, sie immer wieder angerufen, sie hatten lange Abende in Cafés und Restaurants verbracht, meist allein, gelegentlich mit einem seiner Kollegen und dessen wechselnden Freundinnen. Er hatte ihr sogar Blumen ins Büro geschickt. Sie genoss seine Aufmerksamkeit, seinen Humor, die langen Gespräche. Eines führte zum anderen – sie verliebte sich. Sie fühlte sich begehrt, respektiert – geliebt. Alles war perfekt. Ihr Freund arbeitete im Finanzministerium. Er hatte sich fast für seinen drögen Job entschuldigt, als er ihr bei ihrem zweiten Rendezvous davon erzählte. Sie fand das rührend. Er wiederum fand es amüsant, dass sie ihn für einen Diplomaten gehalten hatte. Sie meinte, Diplomatie würde viel besser zu ihm passen als Steuerrecht. Er war gar nicht so, wie sie sich einen Finanzbeamten vorstellte – trocken, sachlich, humorlos, zahlenfixiert, das Gegenteil von sinnlich. Das beweist mal wieder, hatte sie gedacht, dass man einen Menschen nicht nach seinem Beruf beurteilen sollte. Sie hatte gelacht und angemerkt, sie fände seinen Beruf zwar nicht wirklich sexy, aber dafür überaus praktisch, endlich habe sie jemanden, der ihr mit diesem Albtraum von Steuererklärung helfen könne. Er würde alles für sie tun, hatte er lächelnd abgewehrt, aber damit könne er leider nicht dienen, er befasse sich mit anderen Dingen. Die Steuererklärungsformulare verstehe er so wenig wie sie, aber er könne ihr seinen Steuerberater empfehlen. Sie hatte sich ein bisschen darüber gewundert. Womit er sich genau befasste im Finanzministerium hatte er nicht erwähnt, sondern charmant das Thema gewechselt. Sie hatten nicht wieder darüber gesprochen.
Für diesen Abend war sie nun mit ihm verabredet, sie wollten essen gehen und danach ins Kino. Er hatte sie ins Palác Pálffy eingeladen. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin, als sie an seinem Arm die Steintreppe nach oben schritt. Es war ein edles Restaurant im ersten Stockwerk des barocken Pálffy-Palais am Fuße des Hradschin. Der Gastraum mit seinen dunkelroten Wänden war nur mit Kerzen beleuchtet. Im Zentrum des Raumes stand eine riesige Bergpalme und verbreitete zusammen mit dem flackernden Licht der Kerzen und der stilvollen Einrichtung das Flair einer längst vergangenen Epoche. Die Gäste unterhielten sich leise, man hörte gelegentlich das sanfte Klirren von Gläsern, die gemurmelten Worte der aufmerksamen Kellner, die immer schon vor dem Gast zu wissen schienen, was er gleich brauchen würde. Sie genoss das Essen. Die Auswahl der Speisen hatte sie ihrem Freund überlassen – wenn schon wie eine Prinzessin, dann richtig, hatte sie amüsiert gedacht. Er hatte als Vorspeise eine Entenleberterrine mit Birnen bestellt und als Hauptgericht Schwertfischsteak an gegrilltem Gemüse der Saison, dazu einen ausgezeichneten italienischen Rotwein. Skarlet schwelgte im Glück. Sie sprachen nicht über die Arbeit, sondern über Theaterstücke, die sie mochten, Bücher, die sie verschlungen hatten, Filme, die sie liebten. Als die Nachspeise kam
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