Reinen Herzens
Čestmír Kafka in Prag eine Stelle besorgt, da sie ja nicht in seiner eigenen Kanzlei arbeiten wollte, hatte sie nicht Nein sagen können. So eine Gelegenheit, hatte ihr Vater gesagt, hatte man nur einmal und nie wieder. Sie wusste, dass er recht hatte, viele ihrer Kommilitonen hätten sonst etwas gegeben, um an ihrer Stelle zu sein. Und ihr Vater hätte es nicht verstanden, wenn sie abgelehnt hätte. Dies war seine Art gewesen, sie für das ausgezeichnete Examen zu belohnen.
Der Seniorchef war sehr freundlich, ein jovialer Herr nicht mehr ganz mittleren Alters, aber, wie man so schön sagte, gut erhalten, dem sie offensichtlich sehr sympathisch war – oder doch zumindest ihr Äußeres. Jedenfalls kam er regelmäßig in ihr winziges Büro und erkundigte sich nach ihrer Arbeit, nicht ohne immer wieder ebenso freundlich wie nachdrücklich darauf hinzuweisen, sie könne jederzeit zu ihm kommen, wenn sie Fragen hätte, er wäre immer für sie zu sprechen. Sogar zum Mittagessen hatte er sie an ihrem zweiten Tag in der Kanzlei eingeladen. Ob es ihr Aussehen oder ihre Fähigkeiten waren, die ihr seine Aufmerksamkeit bescherten, war ihr fürs Erste egal, jedenfalls solange er sich aufs Reden beschränkte – obwohl sie manche seiner Komplimente eher anzüglich fand. Auch seine Sekretärin hatte sofort einen Narren an ihr gefressen. Und so konnte sie jetzt auch das Geschenk holen, ohne den über der Kanzlei wohnenden Hausmeister herauszuklingeln. Die Sekretärin hatte ihr mit verschwörerischem Lächeln auch gleich den Code für die Alarmanlage gegeben.
Skarlet griff gerade nach ihrer Tasche, als sie eine fremde Stimme aus dem Büro des Chefs hörte. Sie ließ die Tasche sinken und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Seltsam, dass er noch da war. Er sollte doch längst bei der Weihnachtsfeier eines wichtigen Geschäftspartners sein. Die Feier hatte schon vor einer guten halben Stunde begonnen, und er telefonierte nicht, er hatte Besuch. Die Tür zu seinem Büro stand einen Spalt offen. Sie versuchte hineinzuspähen, konnte aber nichts sehen. Dafür hörte sie die beiden Männer jetzt recht deutlich. Das Parkett knarzte. Gläser klirrten. Aus dem Türspalt drang ihr der angenehme Duft von Kafkas Pfeife in die Nase, vermischt mit dem Gestank gewöhnlicher Zigaretten. Ein gemütliches Beisammensein am Abend, wie es schien.
»… haben uns … verstanden?«, hörte sie den fremden Mann fragen. »Sehr gut … etwas anderes. – … flixt … wir müssten längst … Weg zu dieser …maledeiten Weihnachtsfeier … Veranstaltungen hasse – absolut überflüssig. Egal – noch … Vietnamesen … Zigaretten und … verdammten Fingerabdrücken?«
»Habe … gekümmert … Glimmstängel … heiße Luft aufgelöst.« Jemand kicherte heiser. »… im Lager … geht … gewohnten Gang. Was die Fingerabdrücke angeht – die Putzfrauen … echte Plage, sie putzen wirklich alles .« Wieder Gelächter. Skarlet hörte Schritte. »… natürlich offiziell gerügt … Besserung versprochen …«
»… in nächster Zeit ein bisschen aufpassen … nicht … jemand zwei und zwei zusammen … Grünschnabel … ziemlich vergeigt … unmoralischen Angebot … nicht ausgerechnet den Engel anhauen … der Anfänger. Du solltest ihn rauswerfen … naseweisen Pedanten umge…«, schimpfte einer der Männer weiter, »rechtschaffenen … lästig, diese unbestechlichen Bullen. – Was … Grünzeug? … jemandem … Füße treten? Unser Freund ist nicht eben geduldig …« Ein Stuhl quietschte. Skarlet lächelte. Das musste der Drehstuhl des Chefs sein, offenbar drehte er sich ungeduldig darauf hin und her.
»Keine Bange … Zeug … nächste Woche … Dieser Typ … Kalaschnikows … Gefallen tun … ihn noch rauskegeln irgendwie, aber das Immobiliengeschäft … Russen … heute gezahlt.« Jemand klopfte auf etwas. Zufriedenes Gekicher. »Und … tausend Melonen, sind eingetroffen … Bester … die Maschinen?«
»… rote Rosen … Lager in Vítkov …«
»Die Jungs … ganz heiß drauf – … gut Kohl … in diesem Geschäft … drin, als … Gemüse …«
»… Aber noch was anderes …«
Skarlet traute ihren Ohren nicht. Es waren zwar nur Satzfetzen, die sie durch die angelehnte Tür erreichten, aber es hörte sich nicht gerade nach koscheren Geschäften an. Skarlet war verblüfft – das hier war nicht irgendeine zwielichtige Kanzlei, sondern eine der angesehensten in Prag. Ihr Vater kannte den alten Kafka gut, er war einer seiner
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