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Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Reise nach dem Mittelpunkt der Erde

Titel: Reise nach dem Mittelpunkt der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Jahrhunderten hinaufgestiegen; er ging dem Mastodon voraus, wurde Zeitgenosse des südlichen Elephanten; seine Existenz berechnete sich auf hunderttausend Jahre.
    Bei diesem Stand der paläontologischen Wissenschaft wird das Staunen und die Freude meines Oheims begreiflich, zumal da er, zwanzig Schritte weiter, auf ein Exemplar des quaternären Menschen stieß.
    Es war ein völlig kenntlicher Menschenkörper. Hatte ein Boden von besonderer Beschaffenheit, wie der des Friedhofs St. Michael zu Bordeaux, ihn so wohl erhalten Jahrhunderte lang bewahrt? Ich könnte es nicht sagen. Aber dieser Leichnam, die pergamentartige Haut, die – dem Anschein nach – noch markigen Glieder, die noch erhaltenen Zähne, das reiche Haar, die erschrecklich langen Nägel an Händen und Zehen – das Alles zeigte sich unseren Augen, so wie es bei Leben gewesen.
    Ich war stumm bei dieser Erscheinung aus einem anderen Zeitalter. Mein Oheim, der sonst so geschwätzig ist, schwieg ebenfalls. Wir hoben den Körper auf, betasteten seinen Rumpf, er blickte uns aus seinen Augenhöhlen an. Nach einer kleinen Pause machte sich der Professor in dem Oheim geltend. Er vergaß die Umstände, worin wir uns befanden, glaubte ohne Zweifel vor seinen Zuhörern am Johanneum zu stehen. Denn er sprach im Ton des Docenten, wie vor einem Auditorium:
    »Meine Herren, ich habe die Ehre, Ihnen einen Menschen aus der quaternären Epoche vorzustellen. Große Gelehrte haben seine Existenz in Abrede gestellt; nun kann auch der Ungläubigste sich überzeugen, wenn er mit den Fingern ihn berührt und seinen Irrthum inne wird. Ich weiß nun wohl, daß die Wissenschaft bei Entdeckungen dieser Art vorsichtig sein muß! Ich weiß wohl, was die Barnum und andere Charlatane mit fossilen Menschen für ein Unwesen getrieben haben. Ich kenne alle Geschichten der Art, weiß auch, daß Cuvier und Blumenbach solche Gebeine für bloße Mammuthknochen erklärt haben. Aber hier ist kein Zweifel statthaft. Der Cadaver ist da! Sie können ihn sehen, berühren; es ist ein unversehrter Körper, ein Skelet.
    Sie sehen, er ist nicht völlig sechs Fuß groß; gehört unstreitig der kaukasischen Race an, ja ich wage zu behaupten, er gehört zur japhelischen Familie, welche von Indien bis zu den Grenzen West-Europas verbreitet ist. Ja, es ist ein fossiler Mensch, ein Zeitgenosse des Mastodon. Aber auf welchem Wege er hieher gekommen ist in diese enorme Höhlung, das wage ich nicht zu bestimmen. Doch das weiß ich zu sagen, der Mensch ist da, umgeben von Werken seiner Hand, und ich kann nicht die Echtheit seines Ursprungs aus der Urzeit in Zweifel ziehen.«
    Als der Professor geendigt hatte, klatschte ich Beifall. Uebrigens hätten viel gelehrtere Leute, als sein Neffe ist, Mühe gehabt, mit ihm zu streiten.
    Hiezu kommt weiter. Der fossile Körper war nicht der einzige auf dem großen Gebeinfeld; bei jedem Schritt stießen wir noch auf andere, so daß mein Oheim die Wahl hatte, um für die Ueberzeugung der Ungläubigen ein Musterstück zu haben.
    Eine wichtige Frage drängte sich dabei auf, welche wir nicht zu entscheiden uns getrauen. Sind diese Geschöpfe zu einer Zeit, als sie schon vermodert waren, durch eine gewaltsame Erschütterung des Bodens an’s Ufer des Meeres Lidenbrock hinabgerutscht, oder haben sie in dieser unterirdischen Welt, unter diesem künstlichen Himmel gelebt, wurden geboren und starben gleich unseren Erdbewohnern?
     

    Ein fossiler Mensch. (S. 206.)
     
    Bis jetzt hatten wir nur Seeungeheuer und Fische lebendig angetroffen! Sollte wohl auch ein Mensch an diesem öden Gestade der Unterwelt vorhanden sein?
     

    Ein Wald der tertiären Epoche. (S. 210.)
Neununddreißigstes Capitel.
Ein Proteus der Urwelt.
    Eine halbe Stunde lang durchwanderten wir dieses Lager von Gebeinen. Glühende Neugierde trieb uns weiter. Was für andere Wunder, welche Schätze für die Wissenschaft barg noch diese Höhle? Ich war auf jede Ueberraschung gefaßt.
    Wir waren von dem Meeresufer hinter dem Gebeinfeld längst abgekommen.
    Den unvorsichtigen Professor kümmerte es wenig, ob wir uns verirrten, und ich ließ mich von ihm fortziehen. Wir gingen schweigend vorwärts. Das elektrische Licht beleuchtete gleichmäßig die Gegenstände, ohne daß ein bestimmter Brennpunkt existirte, der einen Schatten bewirken konnte. Alle Dünste waren verschwunden. Die Felsen, die fernen Gebirge, einige undeutliche Gruppen von Waldung bekamen bei der gleichen Vertheilung des leuchtenden Fluidums ein seltsames

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