Reise nach dem Mittelpunkt der Erde
Quadratmeilen, lag die ganze Geschichte des Thierlebens, welche in dem zu neuen Boden der bewohnten Erde kaum verzeichnet ist, zusammengehäuft.
Doch eine ungeduldige Neugierde riß uns fort. Unsere Füße zertraten geräuschvoll die Reste dieser vorhistorischen Thiere und diese Fossilien, deren seltene und interessante Trümmer die Museen der großen Städte sich streitig machen. Tausend Cuvier hätten nicht ausgereicht, die Skelette der organischen Wesen, welche auf diesem prachtvollen Todtenfeld lagen, wieder zusammenzusetzen.
Ich war bestürzt. Mein Oheim hob seine großen Arme zu dem dichten Gewölk empor, das uns den Himmel vertrat. Sein weit geöffneter Mund, seine unter der Brille hervorleuchtenden Augen, sein Kopfschütteln von oben nach unten, von der Rechten zur Linken, seine ganze Stellung gab ein grenzenloses Erstaunen kund. Er sah vor seinen Augen eine unschätzbare Sammlung von Leptotherium, Mericotherium, Mastodon, Megatherium, Lophodion, und wie alle die urweltlichen Ungeheuer heißen, aufgehäuft zu seinem persönlichen Vergnügen.
Aber wie war sein Erstaunen noch weit größer, als er unter dem Moder organischer Reste einen nackten Hirnschädel fand! Mit zitternder Stimme rief er; »Axel, Axel, ein Menschenkopf!
– Ein Menschenkopf! mein Oheim, erwiderte ich eben so sehr erstaunt.
– Ja, Neffe! Ah! Milne-Edwards! Ah, Quatrefages! Warum seid Ihr nicht, wo ich bin, Otto Lidenbrock!«
Achtunddreißigstes Capitel.
Ein fossiler Mensch.
Um meines Oheims Anrufung dieser berühmten französischen Gelehrten zu verstehen, muß ich bemerken, daß kurz vor unserer Abreise eine für die Paläontologie höchst wichtige Thatsache vorgefallen war.
Am 28. März 1863 wurde von den Grabarbeitern, welche unter Leitung des H. Boucher de Perches in den Steinbrüchen zu Moulin-Quignon bei Abbeville arbeiteten, vierzehn Fuß unter der Erdoberfläche ein menschlicher Kinnbacken aufgefunden. Es war dies das erste Fossil dieser Art, welches an’s Tageslicht gefördert wurde. Neben demselben fand man steinerne Hacken und behauene Kiesel, bemalt und mit der Zeit von einförmiger Patina überzogen.
Diese Entdeckung erregte großes Aufsehen, nicht allein in Frankreich, sondern auch in England und Deutschland. Einige Gelehrte vom
Institut français
, unter anderen die Herren Milne-Edwards und de Quatrefages, nahmen sich lebhaft der Sache an, bewiesen die unbestreitbare Aechtheit des fraglichen Knochens, und traten als die eifrigsten Verfechter desselben bei diesem »Kinnbackenproceß«, wie die Engländer sich ausdrückten, auf.
Zu den Geologen des Vereinigten Königreichs, welche die Thatsache für zuverlässig hielten, Falconer, Busk, Carpenter u.s.w. gesellten sich deutsche Gelehrte, und unter ihnen in vorderster Reihe der enthusiastischste, mein Oheim Lidenbrock.
Die Echtheit eines fossilen Menschen in der vierten Epoche schien also unbestreitbar bewiesen und zugegeben.
Dieses System hatte zwar einen hitzigen Gegner in dem Herrn Elie de Beaumont. Dieser Gelehrte von so großer Autorität behauptete, das Terrain von Moulin-Quignon gehöre nicht dem »Diluvium«, sondern einer minder alten Schichte an, und in diesem Punkt mit Cuvier einig, gab er nicht zu, daß das Menschengeschlecht aus gleicher Zeit mit den Thieren der vierten Epoche stammte. Mein Oheim Lidenbrock, in Uebereinstimmung mit der großen Majorität der Geologen, hatte sich wacker gehalten, disputirt, discutirt, und Herr E. de Beaumont war fast der einzige Mann seiner Partei.
Wir kannten alle Einzelheiten der Sache, aber wir wußten nicht, daß seit unserer Abreise die Frage neue Fortschritte gemacht hatte. Andere Kinnbacken derselben Art, obwohl Individuen verschiedener Typen und von verschiedenen Nationen, wurden in lockerem und grauem Erdreich gewisser Grotten in Frankreich, der Schweiz, Belgien gefunden, sowie Waffen, Geräthe, Werkzeuge, Gebeine von Kindern, jungen Leuten, Männern, Greisen. Die Existenz des quaternären Menschen wurde täglich mehr bestätigt.
Nicht genug dies. Weitere, im tertiären Boden ausgegrabene Reste hatten kühneren Gelehrten gestattet, dem Menschengeschlecht ein noch höheres Alter zuzuschreiben. Diese Reste waren zwar nicht Menschengebeine, sondern nur Gegenstände seiner Industrie, Bein-und Hüftknochen fossiler Thiere, regelmäßig gestreift, sozusagen vom Bildhauer gemacht, und das Gepräge menschlicher Arbeit an sich tragend.
Also ist der Mensch mit einem Male die Stufenleiter einer größeren Zahl von
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