Reise nach dem Mittelpunkt der Erde
Aussehen.
Nachdem wir eine Meile weit gegangen, kamen wir an den Rand eines ungeheuren Waldes. Es waren aber nicht Champignons, wie bei Gretchen-Hafen; es zeigte sich die tertiäre Vegetation in voller Pracht. Große Palmbäume, jetzt verschwundene Gattungen, Fichten, Eiben, Cypressen, Thuya’s waren netzartig mit Lianen durchflochten. Ein Teppich von Moos und Leberkraut bekleidete körnig den Boden. Einige Bäche rieselten unter dem schattenlosen Gebüsch. An ihrem Uferrand wuchsen baumhohe Farrenkräuter gleich denen in unseren Gewächshäusern. Nur waren alle diese Bäume, Gebüsche, Pflanzen farblos, da die belebende Sonnenwärme fehlte. Alles verschwommen in einförmiger Färbung, bräunlich und wie verblichen. Die Blätter ohne Grün, und selbst die Blumen, welche in dieser tertiären Epoche zahlreich sproßten, damals farb-und geruchlos, sahen aus wie von Papier gemacht, das durch Einwirken der Luft seine Farbe verloren hat.
Mein Oheim Lidenbrock wagte sich in dieses riesige Gehölz. Ich folgte ihm, nicht ohne Angst. Da die Natur hier die vegetale Nahrung sprossen ließ, warum sollten sich nicht da auch die fürchterlichen Säugethiere finden? Ich bemerkte an den lichten Stellen Leguminosen, Rubiaceen und die unzähligen Nahrungssträuche, welche die Wiederkäuer aller Perioden gerne fressen. Hernach zeigten sich die Bäume verschiedener Gegenden der Erdoberfläche durcheinander gemischt: die Eiche neben der Palme, der australische Eucalyptus an der Seite der norwegischen Tanne, die Birke des Nordens mit der seeländischen Kauris, das Gezweig verflechtend.
Plötzlich stand ich stille, hielt meinen Oheim mit der Hand zurück.
Das zerstreute Licht gestattete in der Tiefe der Waldung die geringsten Gegenstände zu sehen. Ich glaubte zu sehen … Nein, wirklich, mit eigenen Augen sah ich ungeheure Gestalten unter den Bäumen sich bewegen! Wirklich, es waren Riesenthiere, eine Heerde Mastodone, nicht fossil, nein, leibhaftige, gleich denen, deren Reste 1801 in den Sümpfen des Ohio aufgefunden wurden!
Ich gewahrte diese großen Elephanten, deren Rüssel unter den Bäumen wühlten gleich wimmelnden Schlangen. Ich hörte sie mit ihren langen Haaren die alten Stämme anbohren. Die Zweige krachten, und das massenweis herabgerissene Laub verschwand in den weiten Rachen dieser Ungeheuer.
Diesen wilden Bewohnern waren wir also, einsam mitten im Schoße der Erde, Preis gegeben!
Mein Oheim schaute hin.
»Auf! sagte er auf einmal, und faßte mich beim Arm, vorwärts, vorwärts!
– Nein, rief ich, nein! Wir sind waffenlos! Was sollen wir mitten in der Heerde von Riesenthieren anfangen? Kommen Sie, Oheim, kommen Sie! Kein menschliches Geschöpf kann ungestraft den Zorn dieser Ungeheuer herausfordern.
– Kein menschliches Geschöpf! erwiderte mein Oheim mit leiser Stimme. Du irrst, Axel. Schau, schau nur, dort unten! Es dünkt mir, da seh’ ich ein lebendes Wesen! ein Unsersgleichen! einen Mann!«
Ich blickte hin, zuckte die Achseln, entschlossen, die Ungläubigkeit bis zum Aeußersten zu treiben. Doch, ich mußte mich durch den Augenschein überführen lassen.
Wirklich, nicht eine Viertelmeile weit, an den Stamm eines enormen Kauris gelehnt, war ein menschliches Wesen, ein Proteus jener unterirdischen Gegenden, ein neuer Sohn des Neptun, welcher diese zahllose Heerde von Mastodoten hütete!
Es war kein Fossil, wie jener Cadaver im Gebeinfeld, sondern ein Riese, der diesen Ungeheuern zu gebieten verstand. Seine Größe betrug über zwölf Fuß. Sein Kopf, so groß wie der eines Büffels, verschwand im Gebüsch eines wilden Haupthaars. Er schwang in der Hand einen ungeheuren Baumzweig, einen würdigen Hirtenstab des Schäfers der Urzeit.
Wir waren unbeweglich, voller Bestürzung, stehen geblieben. Aber man konnte uns bemerkt haben, wir mußten entfliehen.
»Kommen Sie, kommen Sie«, rief ich, und zog meinen Oheim mit mir, welcher zum ersten Male mir nachgab!
Nach einer Viertelstunde befanden wir uns außer dem Gesichtskreis dieses fürchterlichen Feindes.
Und jetzt, da ich ruhig daran denke, jetzt, da mein Geist wieder Besonnenheit gewonnen hat, da Monate seit der übernatürlichen Begegnung verflossen sind, was soll ich denken, glauben? Nein! Unmöglich! Es war Sinnentäuschung, was unsere Augen sahen, ist nicht in Wirklichkeit so gewesen! In dieser unterirdischen Welt existirt kein menschliches Geschöpf! Eine Generation von Menschen, welche diese Höhlen im Schoße des Erdkörpers, ohne Verbindung mit der
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