Reise ohne Wiederkehr
eigenen Vorteil bedacht zu sein, anstatt sich klar |30| auf die Seite der Hitler-Gegner zu stellen und für die Exilanten einzutreten. Der drohende Bruch mit seiner Lieblingstochter brachte den Autor dazu, endlich seine Deckung zu verlassen und sich gegenüber den Nationalsozialisten zu positionieren. In der
Neuen Zürcher Zeitung
publizierte er einen Artikel, in dem er die Nationalsozialisten unverhohlen angriff. Nur wenige Monate später wurde auch dem Nobelpreisträger die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Sein Status als Feind des NS-Regimes war damit besiegelt, und angesichts der stetig wachsenden Kriegsgefahr ließ sich nicht mehr übersehen, dass die Lage in Europa für die Familie aussichtslos war. Als Mann bei einer Lesereise in den USA im Februar 1938 eine Stelle an der Princeton University angeboten wurde, ergriff die Familie diese Gelegenheit. Dabei kam Thomas Mann zugute, dass er seit 1936 Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik war. In den Dreißigerjahren hatte die ČSR ungewöhnlich freizügig die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit vergeben, was für viele ausgebürgerte Flüchtlinge eine Rettung bedeutete, weil sie sonst keine Visa hätten beantragen können. In den USA angekommen, lebte die Familie Mann für zwei Jahre in Princeton, bis sie an die Westküste zog, wo sie bis Anfang der Fünfzigerjahre blieb.
|29| Therese Giehse
Therese Giehse war eine der bedeutenden deutschen Schauspielerinnen. In eine bürgerliche jüdische Familie geboren, wandte sie sich früh dem Theater zu. 1926 erhielt sie ein Engagement an den Münchener Kammerspielen; dort übernahm sie eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Rollen und war beim Publikum überaus beliebt. Als politische Gegnerin der Nationalsozialisten schloss sie sich 1933 der „Pfeffermühle“ an und floh im März des Jahres in die Schweiz. Eine Zweckehe mit John Hampson-Simpson verhalf ihr nach ihrer Ausbürgerung zu einem britischen Pass. Nachdem die „Pfeffermühle“ in den USA gescheitert war, kehrte Therese Giehse nach Zürich zurück und war dort am Schauspielhaus tätig. Bertolt Brecht schickte ihr aus dem finnischen Exil sein Stück Mutter Courage, mit dem sie nach dem Krieg neuerliche Berühmtheit erlangte. Kurze Zeit arbeitete sie – u. a. als Regisseurin – am Berliner Ensemble, bevor sie 1952 an die Münchener Kammerspiele zurückkehrte, wo sie bis zu ihrem Tod auftrat.
|30| Internierung im Exilland
Weitaus schwieriger war die Situation derjenigen Exilanten, die nach Wien, Prag und andere Orte geflüchtet waren und sich dort 1938 aufhielten. Um dem deutschen „Zugriff“ zu entkommen, mussten sie weiterfliehen, doch die Bedingungen wurden aufgrund der drohenden Kriegsgefahr immer komplizierter. 1939 wurden in Frankreich Internierungslager für deutsche Flüchtlinge eingerichtet. 14 Mit dem deutschen Überfall auf Polen und dem daraus resultierenden Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 steigerte sich die Gefahr für die Exilanten akut.
Hermann Kesten war einer von vielen Flüchtlingen in Frankreich, die im September 1939 erfuhren, „dass ich in ein Konzentrationslager |31| gehn [sic] muss [...]. Es ist eine ungedeckte Radfahr-Arena, mit Wiese und Tribünen, Platz, um 500 Menschen unterzubringen, nicht aber 15 000 oder 20 000 zusammenzupferchen. Ich habe Angst davor“. 15 Er kam in ein Arbeitslager, aus dem er nach einem Monat entlassen wurde.
Wie Kesten kamen etliche Prominente aus den Arbeitslagern frei, weil sich internationale Organisationen oder berühmte Persönlichkeiten für sie einsetzten; andere wurden entlassen, nachdem Sichtungskommissionen sie für „ungefährlich“ erklärt hatten. Etwa 3000 Internierte ließen sich von der französischen Fremdenlegion anheuern – eine Entscheidung, die zwar die Gefangenschaft beendete, aber weder Freiheit noch Sicherheit bedeutete. Ende 1939 befanden sich von den ursprünglich etwa 22 000 Männern und etlichen hundert Frauen, die im Herbst interniert worden waren, fast noch die Hälfte in den Lagern. Ab Januar 1940 wurden 6500 von ihnen in Arbeitskompanien eingegliedert, die zur französischen Armee gehörten, und mussten dort Schwerstarbeit verrichten. Die meisten dieser
prestataires
konnten in den unbesetzten Süden Frankreichs flüchten, bevor die deutschen Truppen das Land im Juni 1940 überfielen. Die französische Regierung stimmte nach der Kapitulation der Auslieferung der deutschen Flüchtlinge zu; deshalb versuchten fast alle, die
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