Reise um den Mond
worden waren. Sie vergrößerten hundertfach, konnten also auf der Erde den Mond bis zu einer Entfernung von nicht tausend Lieues nahe bringen. Aber bei der damaligen Nähe, welche um drei Uhr Morgens nicht mehr als hundertundzwanzig Kilometer betrug, und in der von keiner Atmosphäre getrübten Umgebung, mußte durch diese Instrumente die Mondfläche auf nicht ganz mehr als fünfzehnhundert Meter nahe kommen.
Elftes Capitel.
Phantasie und Wirklichkeit.
»Haben Sie jemals den Mond gesehen?« fragte ein Professor ironisch einen seiner Schüler.
– Nein, mein Herr, erwiderte noch ironischer der Schüler, aber ich darf sagen, daß ich von demselben reden gehört habe.
Die scherzhafte Antwort könnte in gewissem Sinn von der immensen Majorität der Leute unter dem Mond gegeben werden. Wie viele Leute haben von dem Mond reden gehört, ohne ihn jemals zu sehen … wenigstens durch ein Fernrohr oder Teleskop! Wie viele haben selbst nie eine Mondkarte genau angesehen!
Betrachtet man eine Mondkarte, so springt eine Eigenthümlichkeit sogleich in die Augen. Gerade umgekehrt wie bei der Erde und dem Mars nehmen die Continente vorzugsweise die südliche Hemisphäre ein. Diese zeigen nicht so deutliche und so regelmäßige Grenzlinien, wie Nordamerika, Afrika und die indische Halbinsel. Ihre eckigen, launenhaften, tief ausgezackten Küsten sind reich an Golfen und Halbinseln. Sie erinnern leicht an das ganze Durcheinander der Sunda-Inseln, wo das Land übermäßig zerstückelt ist. Wenn jemals auf der Mondoberfläche Schifffahrt stattfand, mußte sie ganz besonders schwierig und gefährlich sein; und es sind auf dem Mond die Seeleute und die Hydrographen zu beklagen; letztere, wenn sie die zerrissenen Küsten aufnehmen, erstere, wenn sie an den gefährlichen Stellen landen mußten.
Man wird ferner bemerken, daß auf der Mondkugel der Südpol weit mehr mit Festland besetzt ist wie der Nordpol. Der letztere ist nur wie von einem leichten Käppchen mit Land bedeckt, welches durch ungeheure Meere 1 vom anderen Festland gesondert ist. Südlich bedecken die Continente fast die ganze Hemisphäre. Möglich also, daß die Seleniten bereits auf einem ihrer Pole die Fahne aufgesteckt haben, während die Franklin, Roß, Kane, Dumont d’Urville, Lambert an diesen unbekannten Punkt des Erdballs noch nicht gelangen konnten.
Inseln giebt’s auf der Mondoberfläche sehr viele. Fast alle länglich oder kreisrund und wie mit dem Zirkel gemacht, scheinen sie einen ungeheuren Archipel zu bilden, der reizenden Gruppe zwischen Griechenland und Kleinasien vergleichbar, welche die Mythologie ehemals mit ihren schönsten Sagen geschmückt hat. Unwillkürlich fallen einem die Namen Naxos, Tenedos, Milo, Karpathos ein, und unsere Augen suchen das Schiff des Ulysses oder den »Klipper« der Argonauten. Dies wenigstens wünschte Michel Ardan zu sehen, einen griechischen Archipel. Die wenig phantasiereichen Augen seiner Gefährten wurden durch den Anblick dieser Küsten vielmehr an die zerstückelten Lande Neu-Braunschweig und Neu-Schottland erinnert, und da, wo der Franzose die Helden der Fabel aufspürte, fanden diese Amerikaner die für Errichtung von Comptoiren günstigen Punkte im Interesse von Handel und Gewerben auf dem Mond.
Zum Schluß dieser Beschreibung des Festlandes auf dem Mond einige Worte über seine orographische Beschaffenheit. Man unterscheidet darauf sehr deutlich Gebirgsketten, einzelne Berge, Ringberge und Streifen. Unter diese Abtheilung läßt sich die ganze Bodenerhebung des Mondes begreifen, welche außerordentlich zerrissen ist. Es ist eine ungeheure Schweiz, ein ununterbrochenes Norwegen, wo sich alles auf plutonischem Wege gebildet hat. Diese so tief eingerissene Oberfläche ist das Ergebniß wiederholter Zusammenziehungen der Bodenrinde zur Zeit, als das Gestirn noch in seiner Bildung begriffen war. Die Mondscheibe ist daher geeignet zum Studium der großen geologischen Erscheinungen. Nach der Bemerkung einiger Astronomen ist die Oberfläche des Mondes, wenngleich älter als die Oberfläche der Erde, dennoch neuer. Es giebt da keine Gewässer, welche die ursprüngliche Bodengestaltung abändern, und deren zunehmendes Einwirken eine Art allgemeiner Abflachung erzeugt; keine Luft, deren zersetzender Einfluß die orographischen Profile entstellt. Da ist die plutonische Arbeit, durch neptunische Kräfte nicht gestört, in ihrer ganzen natürlichen Reinheit. Gerade so die Erde, bevor die Sümpfe und Ströme schichtenweis
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