Der Todeswirbel
1
I n jedem Club gibt es ein Mitglied, das allen anderen auf die Nerven geht. Der Coronation Club bildete da keine Ausnahme, und dass gerade ein Luftangriff im Gange war, änderte nichts an der Tatsache.
Major Porter, ehemaliger Offizier der Indischen Armee, raschelte mit seiner Zeitung und räusperte sich, Aufmer k samkeit heischend. Die Anwesenden hüteten sich ängs t lich, seinem Blick zu begegnen, aber die Maßnahme e r wies sich als zwecklos.
»Die Times bringt eine Anzeige zum Tod von Gordon Cloade, sehe ich eben«, hub der Major an. »Sehr diskret aufgemacht, selbstverständlich. ›Am 5. Oktober starb infolge einer feindlichen Aktion‹ und so weiter. Keine nähere Bezeichnung des Schauplatzes. Zufällig ereignete sich die Geschichte unweit meines eigenen Hauses. In einem dieser großen Häuser oben auf Campden Hill. Ehrlich gesagt, die Sache ging mir ziemlich nahe. Ich bin dem Luftschutz zugeteilt, verstehen Sie. Cloade war ger a de aus den Staaten zurückgekommen, hatte drüben im Auftrag der Regierung Einkäufe tätigen müssen und wä h rend dieser Zeit geheiratet. Eine junge Witwe, jung genug, um seine Tochter sein zu können. Eine gewisse Mrs U n derhay. Zufälligerweise kannte ich ihren ersten Mann von Nigeria her.«
Major Porter schaltete eine Pause ein. Niemand legte Interesse an den Tag oder bat ihn sogar, in seiner Erzä h lung fortzufahren. Im Gegenteil, die Köpfe versteckten sich hinter krampfhaft hochgehaltenen Zeitungen. Doch hätte es drastischerer Mittel bedurft, um Major Porter zu entmutigen. Er liebte es, weitschweifige Geschichten zu erzählen von Leuten, die niemand kannte.
»Interessant«, murmelte er unverdrossen vor sich hin, den Blick geistesabwesend auf ein Paar auffallend spitzer Lackschuhe gerichtet – eine Art Fußbekleidung, die er zutiefst verabscheute. »Interessant, wie das Haus getro f fen wurde. Der Einschlag drückte das Untergeschoss ein und fegte das Dach buchstäblich weg; das erste Stoc k werk blieb so gut wie unberührt. Sechs Leute befanden sich im Haus. Drei Dienstboten – ein Ehepaar und ein Mädchen – und Gordon Cloade, seine Frau und deren Bruder. Dieser Bruder war der einzige, der mit ein paar Schrammen davonkam. Die anderen hielten sich alle im Untergeschoss auf, er war gerade in seinem Zimmer im ersten Stock. Die Dienstboten waren auf der Stelle tot. Gordon Cloade wurde aus dem Schutt gegraben. Er lebte noch, starb aber auf dem Transport ins Krankenhaus. Seine Frau erlitt schwere Verletzungen. Die Explosion hatte ihr die Kleider vom Leib gerissen. Man hofft aber, sie retten zu können. Sie wird eine reiche Witwe sein. Gordon Cloade war sicher eine Million schwer.«
Abermals schaltete der Major eine Pause ein. Sein Blick wanderte von den spitzen Lackschuhen empor über ein Paar gestreifte Hosen und eine schwarze Jacke zu einem eiförmigen Kopf mit imposantem Schnurrbart. Ein Au s länder – natürlich! Das erklärte auch die Schuhe. Schrec k lich! schoss es dem Major durch den Kopf. Nicht einmal mehr hier im Club ist man vor diesen Ausländern sicher.
Die Tatsache, dass der missbilligend betrachtete Au s länder als einziger der Erzählung des alten Offiziers ung e teilte Aufmerksamkeit schenkte, erschütterte Porters A b neigung in keiner Weise.
»Fünfundzwanzig Jahre alt wird sie sein, kaum mehr«, fuhr er in seinem unerwünschten Bericht fort. »Und zum zweiten Mal Witwe, zumindest glaubt sie das.«
In der Hoffnung, mit dieser letzten Bemerkung Ne u gierde erweckt zu haben, hielt er inne. Als auch dieses Mal keinerlei Reaktion erfolgte, redete er unerbittlich weiter.
»Ich habe da so meine eigenen Ideen in dieser Sache. Ich kannte zufällig ihren ersten Mann, wie ich schon sa g te; Underhay. Ein netter Bursche, war Distriktskommissar in Nigeria zu jener Zeit. Sehr pflichtbewusster Mensch, ausgezeichneter Beamter. Das Mädchen heiratete er d a mals in Kapstadt, wo sie mit einer Theatertruppe au f tauchte. Es ging ihr nicht besonders, hatte Pech gehabt, fühlte sich einsam und verlassen, na… und ein hübsches Ding war sie. Sie hörte dem guten Underhay zu, wie er von seinem Distrikt und der wunderbaren Natur schwärmte, und flüsterte selig: ›Ach, wie herrlich!‹ und ›Wie gern würde ich in solcher Weltabgeschiedenheit l e ben‹, und der Schluss von der Geschichte war, dass sie ihn heiratete und mit ihm in die viel gepriesene Weltabg e schiedenheit zog. Aber aus der Nähe besehen war die Abgeschiedenheit nicht mehr so erfreulich.
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