Renner & Kersting 03 - Mordsgier
nicht? »Versuche es mit diesem«, schlug sie deshalb Klaus vor.
Er griff sich den Brief, überflog ihn und fragte skeptisch: »Meinst du wirklich? Der Mann scheint mir arg verschroben. Dieser Stil ... das klingt doch schrecklich.«
»Sicher, aber für Käthe könnte er genau der Richtige sein. Konservativ, übertrieben höflich und zurückhaltend nach einer Enttäuschung. Ruf’ ihn an.«
»Na gut, wenn du meinst.« Klaus schien nicht recht überzeugt, sagte aber nichts mehr dazu. Er faltete die Briefe wieder zusammen, steckte sie in den braunen Umschlag, lehnte sich im Sofa zurück und blickte sie mit jenem besonderen Glitzern in den Augen an. »Es ist spät, und ich bin angenehm müde. Lass uns zu Bett gehen.«
»Ich hoffe, nicht zu müde?«
»Oh nein!« Damit nahm er sie an die Hand und zog sie ins Schlafzimmer. Nur das Licht einer Straßenlaterne erhellte den Raum, während sie sich hingebungsvoll dem Liebesspiel widmeten.
Helga stand am Fenster ihrer Küche und starrte auf die Straße, ohne wirklich etwas zu sehen. Vor einer halben Stunde war sie mit Anna von ihrem Kondolenzbesuch bei den Rescheids zurückgekommen. Den Tod der Eltern hatten beide Kinder noch nicht verkraftet. Blass saßen sie ihnen gegenüber, Sara mit einem zerknüllten Taschentuch in der Hand, Sven mit abgewandtem Gesicht, als wollte er nicht, dass jemand seine roten Augen sah. Auf dem Tisch lag ein Entwurf für die Traueranzeige. Helga kam sich deplatziert vor, sie kannte die beiden nicht einmal, und Annas Überfall, unbedingt eine Autopsie zu veranlassen, wirkte alles andere als tröstend. Die Zwei ließen Anna reden, mit ihren Gedanken woanders. Immer wieder wanderte Saras Blick zu einem Foto auf der Anrichte. Es zeigte ihre lachenden Eltern, die just in diesem Moment von der Gischt einer heranbrausenden Welle bespritzt wurden. Sohn und Tochter hatten eben erst begonnen, den Tod der Mutter zu akzeptieren, sich gegenseitig Trost und Halt zu schenken, als der Vater starb. Da war Annas Begehren mehr als sie ertragen konnten. Helga verstand ihr Schweigen und versuchte, so gut sie konnte, Anna zu bremsen und zu beruhigen, die sich jedoch nicht beruhigen lassen wollte. Schließlich sah sie in einer Autopsie die einzige Möglichkeit, zu beweisen, dass ihre Ängste auf einer realen Grundlage basierten und nicht einem verwirrten Hirn entstammten. Dieter war beerdigt. Da blieb nur eine Exhumierung. Inzwischen befand Anna sich in einem derartigen Zustand, dass sie der vermutlich zustimmen würde, falls die Rescheid-Kinder sich weigerten, den Tod des Vaters gründlich untersuchen zu lassen. Zwar hatten Sven und Sara versprochen, über alles nachzudenken, doch Helga vermutete, dass sie nur Anna hatten loswerden wollen.
Nachdem Helga es nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich geschafft hatte, Anna hinauszubugsieren, hatten sie noch eingekauft, sodass Anna sich während des Wochenendes in ihrer Wohnung verschanzen konnte. Immer wieder hatte sie Helga gebeten, doch am Abend noch einmal vorbeizukommen. Doch dazu war diese trotz aller Gewissensbisse nicht bereit. Ihrer Meinung nach hatte sie bereits viel zu viel Zeit geopfert. Sie wollte auf dem Sofa liegen, schmökern und mit Klaus kuscheln. Den Sonntag brauchte sie eh für ihre Schulvorbereitungen. Es wurde höchste Zeit, die nächsten Sequenzen gründlich und in Einzelheiten zu planen, Termine für die anstehenden Arbeiten festzulegen und die entsprechenden Arbeitsblätter zu entwerfen.
Helgas Gedanken wanderten zurück zu Anna. Als sie sich an der Haustür voneinander verabschiedeten, war ihre Angst fast greifbar gewesen, und Helga fühlte sich davon so eingeschnürt, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Sie überlegte, ob und wie sie Anna überreden konnte, einen Arzt aufzusuchen, denn so durfte es nicht weitergehen. Die Frau steigerte sich direkt in eine Psychose hinein. Dazu der Verfolgungswahn. Sie brauchte schnellstens professionelle Hilfe. Während Helga noch über verschiedene Möglichkeiten, Psychotherapeut oder Psychiater nachsann, klingelte es. So stürmisch, wie sie es nur von Ali gewohnt war.
»Mensch Helga, du hast Herbert ja prima um den Finger gewickelt! Der ist voll begeistert von dir«, sprudelte diese heraus. »Stell’ dir vor, der hat mir sogar zugehört. Zum ersten Mal seit Monaten ... Wahnsinn! Wir haben über unsere Ehe geredet, über Gefühle und über Theo und Gerlinde natürlich auch. Als ich ihm sagte, dass Theo gedroht hat, unsere ... äh
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