Rentner-WG - ein Best-Ager-Roman aus Frankfurt
sogar zwei Flecken, vorne an der Knopfleiste. Eindeutig Lippenstift.
Im ersten Schreck ließ sie das Hemd fallen. Als kleines Häufchen sackte es auf dem Holzboden zusammen. Sie bückte sich langsam und hob es auf. Die Flecken starrten sie böse an. Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag! Ein Witz, so etwas passierte doch nicht in echt.
Energisch schlug sie das Hemd durch die Luft und hängte es auf die Leine. Nächstes Stück, Wäscheklammern, festmachen, immer weiter, so lange, bis der Korb leer war. Ihre Gedanken rasten, während die Hände mechanisch die Arbeit verrichteten.
War Thomas in letzter Zeit häufiger unterwegs als sonst? Benahm er sich anders? Ihr fiel nichts ein. Die normalen Überstunden, manchmal ein Abend, den er mit Kunden verbrachte, alles wie immer.
Auf dem Küchentisch häuften sich die nass geheulten Taschentücher. War sie so blind gewesen? Die flüchtigen Küsse beim Weggehen und Heimkommen, vieles war Routine geworden zwischen ihnen. Wir sind uns gegenseitig so bequem wie ein Paar ausgeleierte Hausschuhe, dachte sie. Aber das war doch normal!
Das fröhliche Radiogedudel ging ihr auf die Nerven. Gereizt schlug sie auf den AusKnopf. Es war sowieso höchste Zeit, mit dem Kochen anzufangen. An Tagen wie heute gab es immer sein Lieblingsessen, eine Art Naturgesetz. Als sie im Küchenschrank nach dem Senf suchte, fiel ihr das getrocknete Chili in die Hand. Thomas mochte nichts Scharfes. Mechanisch holte sie die Rouladen aus dem Kühlschrank.
Die Schwüle nahm zu. Mittlerweile sammelten sich am Himmel trügerisch schöne Wolkengebilde, und die Farben des Gartens leuchteten in eigentümlicher Klarheit. Schweißüberströmt sammelte Leni die Kissen auf der Terrasse ein.
Die Dusche brachte keine Erfrischung. Auf dem Bett lag das neue Kleid. Pia hatte sie beneidet. Um Thomas, um ihre ach so gute Ehe. Es würgte sie, wenn sie daran dachte. Beim Verteilen der Gesichtscreme schaute sie in ihr graues Gesicht.
Als sie Thomas an der Eingangstür hörte, knipste sie ein Lächeln an. Er gab ihr einen Kuss und setzte sich auf die Treppe. Wie immer zog er die Straßenschuhe aus und griff nach seinen gestreiften Schlappen. Es sah albern aus zu seinem Geschäftsanzug. Den behielt er heute an. Zur Feier des Tages.
„Alles Liebe zum Hochzeitstag.“ Strahlend zauberte er einen Strauß Rosen und ein kleines Geschenkpäckchen hervor.
„Ich hab’s nicht vergessen“, erklärte er eifrig.
„Ich hole eine Vase.“
Seine Fröhlichkeit machte sie rasend. Sie stellte die Vase auf den Couchtisch und warf einen Blick auf das Päckchen. Beim Juwelier Neumann verpackten sie die Sachen immer so nett. Alles könnte so schön sein. Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu schreien.
„Steht dir gut, was du da anhast. Ist das neu?“
Sie tat so, als habe sie ihn nicht gehört. Abwarten, hatte sie sich vorgenommen. Krampfhaft schluckte sie den brodelnden Zorn hinunter.
Wie immer legte sich Thomas die größere der beiden Rouladen auf den Teller. Auf manche Dinge ist Verlass. Gemächlich zerdrückte er die Kartoffeln und die Soße zu einem unappetitlichen Matsch. Wie konnte er ihr das antun? Sie legte die Gabel auf den Teller.
„Du gehst fremd.“
Ihre Stimme klang schrill. Das Weinen lauerte zwischen Magen und Kehle. Thomas erstarrte mit der Gabel auf halbem Weg zum Mund und schaute sie über den Rand seiner Brille an.
„Was?“, fragte er tonlos.
„Ich will es wissen. Nein, also, ich weiß es. Du hast eine andere“, stotterte sie.
Er zog die Augenbrauen hoch.
„Was soll der Quatsch? Also wirklich! Ausgerechnet heute, verdirb mir nicht die Laune. Du weißt, ich mag solche Spielchen nicht. Aus dem Alter sind wir raus.“
„Ich schon. Du offenbar nicht.“
Sie hätte sich ohrfeigen können. Wie konnte sie sich nur selbst klein reden! Er legte das Besteck beiseite.
„Ist dir der Appetit vergangen?“ fragte sie hämisch.
Über die Rouladen weg starrten sie sich an. Sie schaffte es, nicht als erste wegzusehen. Lächerlich, dieser kleine Sieg. Sie versteckte ihre zitternden Hände unter dem Tisch.
Er schnitt wieder ein Stück Fleisch ab und steckte es in den Mund. Er kaut wie ein Schaf, das ein Stück Wiese abgrast, dachte sie. Mit systematischer Gründlichkeit, als wäre es eine äußerst komplizierte Tätigkeit. Das Schaf stopfte sich eine zerdrückte Kartoffel in den Mund. Leni starrte in die Kerzenflamme auf dem Tisch, bis ihr Blick verschwamm.
„Isst du nichts?“
„Ich hab’ keinen
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