Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
anderen Schüler bereits gegangen waren. Er und Edmund waren also zuletzt zusammen, den Jungen hat danach niemand mehr gesehen. Ebenso wenig Edmund. Er ist spurlos verschwunden.“
Beate bewegte offenen Mundes abwehrend den Kopf.
„Das heißt aber doch nicht …“
„Was wohl, glaubst du, schließt die Polizei daraus?“
Kommissar Knöpfle steuerte den grün-weißen BMW durch den City-Ring. Bei aller Aufmerksamkeit für den Verkehr warf er immer wieder mal einen Blick auf Hauptkommissar Raabe neben ihm, der geradeaus durch die Windschutzscheibe starrte, ohne die Vorgänge da draußen wahrzunehmen. Die bevorstehende Befragung lag ihm gewaltig auf dem Magen. Zu den unangenehmen Aufgaben eines Polizisten gehörte es nun mal, gebeutelten Mitmenschen mit bohrenden Fragen auf den Pelz zu rücken. Der Fall war heute besonders schlimm – es handelte sich um die Frau des Flüchtigen, die er befragen musste, und der Flüchtige war der Bruder eines guten Freundes.
Auch Knöpfle war nicht bei Laune, Sonntag und Dienst – das war nicht sein Ding, schon gar nicht, seit ihm der Traum von einer Frau, Theresa Schwarz, über den Weg gelaufen war, mit der er die Wochenenden verbrachte.
Die drei Etagen zu Konrads Wohnung bereiteten Raabe einige Mühe. Er pausierte an jedem Absatz und betrachtete Philodendron, Clivia oder Amaryllis auf der jeweiligen Fensterbank, dieweil Knöpfle hinter ihm ungeduldig von einem Fuß auf den andern trat. Oben angelangt, brauchte er ein paar Sekunden zum Atemholen und zur Besinnung, bevor er den blank geputzten Messingknopf drückte. Schließlich war kurz nach acht eine unchristliche Zeit, um vor einer Privatwohnung auf der Matte zu stehen. Schrill tönte die Klingel durchs Haus. Lydia Konrad – zwischen zwei Krücken – öffnete die Tür.
„Guten Morgen, Herr Hauptkommissar! Wir haben Sie bereits erwartet. Bitte treten Sie näher.“
„Guten Morgen, Frau Konrad. Dies ist mein Kollege, Kommissar Knöpfle. – Sie sagten ‚wir‘. Ist Ihr Mann wieder da?“ Lydia schloss die Tür hinter ihnen und antwortete:
„Nein. Mein Schwager. Soeben angekommen.“
Plötzlich stand Koko vor ihm.
„Das ist eine Überraschung! Ich dachte, du seist in Spanien!“
Raabe schüttelte Koko die Hand und sagte zu Knöpfle: „Ihr kennt euch ja vom Keßlerfall her.“
Sie setzten sich um den Couchtisch. Jetzt erst bemerkte Raabe die rot verquollenen Augen von Edmund Konrads Frau. Koko sagte: „Ich bin hier, um Lydia abzuholen. Sie soll bei uns bleiben, bis Edmund wieder da ist. Ich erfuhr gestern abend erst, was passiert ist, und bin mit Beate gegen zwei auf Rhein-Main gelandet. Lass dich durch mich nicht stören. Ich höre einfach nur zu, da muss Lydia nicht alles zweimal erzählen.“ Koko lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und sah zur Decke.
„Frau Konrad“, begann der Hauptkommissar und Knöpfle zückte Block und Bleistift, „es fällt mir nicht leicht …“
„Fragen Sie bitte, was gefragt werden muss“, fiel sie ihm ins Wort.
„Zunächst wollte ich Sie um ein neueres Foto von Ihrem Mann bitten, falls Sie eins da haben.“
„Koko sagte, dass Sie danach fragen würden. Bitte sehr, hier ist es.“
„Wo könnte Ihr Mann sich gegenwärtig aufhalten?“
„Das weiß ich nicht. Wo auch immer es ist, er ist dort ganz gewiss nicht freiwillig.“
„Sie gehen also von einer Entführung aus.“
„Ja! Sonst wäre er ja wohl hier.“
„Hat sich ein Entführer bei Ihnen gemeldet?“
„Bis jetzt noch nicht.“
„Was könnte man mit der Entführung bezwecken wollen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Sein Auto wurde vor dem Hauptfriedhof gefunden. Was kann er dort gewollt haben?“
„Darüber habe ich die ganze Nacht nachgedacht. Gestern war unser fünfter Hochzeitstag. Vielleicht wollte er mich mit Blumen überraschen. Der Friedhof ist ganz hier in der Nähe und der Blumenladen ist durchgehend geöffnet.“
„Und sonntags?“
„Bitte?“
„Ist der sonntags auch offen – also heute?“
„Ich glaub´ schon – jaja, bestimmt.“
„Schildern Sie mir den Verlauf des gestrigen Tages.“
„Wir sind wie jeden Samstag eine halbe Stunde später aufgestanden als sonst, weil da sein Unterricht erst zur zweiten Stunde beginnt. Er …“
„Moment!“, unterbrach Raabe. „Unterricht am Samstag? Gibt’s das denn noch?“
„Die Hellmann-Schule war wegen eines Wasserrohrbruchs und Einsturzgefahr eine Woche und zwei Tage geschlossen und so beschlossen
Weitere Kostenlose Bücher