Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Bahnen – die sind nämlich eingezäunt – ist die Fahrradausgabe. Dann gibt’s einen Golfpark. Und einen Spielpark mit Schaukeln und Kletterstange, Tennis-, Fußball-, Korbballplätz. Im gleichen Gebäude wie´s Schwimmbad finden Sie Sauna, Dampf- und Kräuterbäder, Whirlpools, Sonnenbänke und vieles mehr, das könne Sie nachher alles dem Stadtplan entnehmen und die Beschreibunge dazu uf de Bildschirm hole.“
Gerd sah seinen Lehrer taumeln und schlug eine weitere Ruhepause vor. Es waren nur wenige Schritte bis zur Tribüne. Edmund plumpste auf die untere Bank, streckte die Beine von sich und die Arme rückwärts auf der Lehne aus. Gerd begrüßte, bevor er sich neben ihn setzte, mit „Hallo“ eine Frau und zwei Männer, die sich drei Reihen über ihnen lebhaft unterhielten, und winkte zu ihnen hoch.
„Die zwei Männer sind aus Hanau“, erklärte Gerd. „Der Dicke mit der Hornbrille is Helmut Forst, ein Buchhalter, der andere heißt Günter Reise. Die Frau ist eine Französin aus der Normandie. Nicole Weber, mit einem Deutschen verheiratet. Sie verteidigt besessen die Deutschen und legt sich mit jedem an, der dem deutschen Schuldkomplex das Wort redt, und das sind nicht wenige. Hier unten sind fast alle ziemlich links und etliche von ihne in der Welt oben recht militant gewese, wie sie stolz behaupte. Aber die Nicole wird mit jedem fertig. Die hat Haare auf de Zähne. Ich kann sie gut leide, obwohl ich sonst für Rechte nix übrig hab.“ Edmund drehte sich kurz um. „Außerdem bringt sie es fertig, selbst in dieser Anstaltskluft attraktiv auszusehen.“
„Das haben schon einige hier bemerkt“, sagte Gerd. „Aber mit ihr ist nicht gut Kirschen essen. Sie ist schnell auf hundert.“
„Davon gibt sie gerade eine Kostprobe ab.“
Tatsächlich posaunte die Dame unüberhörbar ungehalten:
„So bewältigt ihr die Vergangenheit nicht und nicht die Gegenwart und die Zukunft wird euch überrollen.“
Was der Dicke aufgebracht erwiderte, ging im Beifallgetöse der Zuschauer unter. – Einem der Tennisspieler war ein brillanter Schlag geglückt.
Die Erregung nahm ab, die Stimmen wurden leiser und waren bald nicht mehr zu hören.
„Geht’s wieder?“, fragte Gerd. Sie brachen auf. Er führte seinen Lehrer in die Sperlingsgasse vor ein imposantes Gebäude mit einem Portikus, der an die wiederhergestellte Deutsche Bibliothek an der Schönen Aussicht oben in Frankfurt erinnerte.
„Darin befindet sich das sogenannte Forum“, sagte Gerd. „Über kurz oder lang wird man Sie dort zu einem Seminar einbestellen, in dem Ihnen alle Informationen zuteilwerden.“
Das Forum nahm die ganze Ecke Sperlingsgasse/Irispfad ein. Vier breite Stufen führten zu dem Eingangstor, das sich öffnete, als sie hinaufstiegen. Die Eingangshalle, geräumig und hell erleuchtet, in Weiß und Blau gehalten wie alles hier unten, löste Unbehagen aus. Skulpturen altrömischer Herrscher in Überlebensgröße sah man zu beiden Seiten entlang der Wände. Edmund klopfte mit dem Handrücken an Neros Knie. Plastik. An der Stirnseite führte eine Flügeltür zum Versammlungsraum.
„Da drin finden Informationsvorträge und Belehrungen statt, zu denen man sich einfinden muss. Man wird über den Monitor dazu aufgefordert.“
Gerd schnäuzte sich in zwei Tempotaschentücher hintereinander. Sie verließen das Forum durch den hinteren Ausgang. Gegenüber befand sich eine Mauer, die die gesamte Straßenfront einnahm.
„Camp C von Repuestos -West“, erklärte Gerd. „Es beherbergt die Mütterstation, den Kreißsaal, die Säuglingsstation und, durch eine Quermauer getrennt, die Kinderstation mit siebenundzwanzig Mädchen und Buben zwischen sechs Monaten und achtzehn Jahren. Bei meiner Ankunft bin ich da gelandet. Zwei Wochen später wurde ich achtzehn und kam hier rüber. Die Kinder leben wie im Ferienlager. Sie werden von vier Gesellschafterinnen betreut. Andere Erwachsene dürfen die Station nicht aufsuchen – nicht einmal die Mütter.“
„Die Mütter sind auch hier?“
„Klar. Die haben sie ja hier geboren. Sie durften anfangs mit ihnen auf der Säuglingsstation bleiben. Nach der Stillzeit wurden sie getrennt. Die Kleinen kamen auf die Kinderstation, die Mütter nach
Repuestos -West. Die Kinder kennen die Welt nicht, nur ihre Umgebung hier unten. Sie spielen, singen, turnen, schwimmen und werden verwöhnt mit allem, was sie mögen. Wozu sie da sind, könnese net wisse, sinn fröhlich und ausgelasse, lache und flenne, wies grad
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