Requiem für eine Sängerin
Probe zu kommen.
Wenige Minuten später sprangen sie fröhlich in Pfützen und genossen den Spaziergang, ohne den Polizisten hinter sich und die grauen Autos zu bemerken, die auf der regennassen Straße vorbeifuhren. Leslie fand sich in ihrem grauen Regencape damit ab, dass sie wie ein nasser Mop zur Chorprobe erscheinen würde, und freute sich mit den Kindern.
Mavis’ Angebot, sie zu fahren, lehnte sie dankend ab. Sie war ohnehin nass bis auf die Haut, die Schule keine zehn Minuten entfernt. Sie küsste die Kinder zum Abschied und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg.
Das konstante Prasseln des Regens auf ihrer Haube übertönte jedes andere Geräusch. Sie schritt hastig und mit gesenktem Kopf aus; die Haube schränkte ihre Sicht ein. Ihre Nervosität galt abwechselnd der bevorstehenden Chorprobe und dem Termin bei der Polizei. Sie hatte Angst, aber das Schweigen und die Lücken in ihrer Geschichte, die auf Lügen hinausliefen, waren im Lauf der Jahre für sie zur Wahrheit geworden. Nicht einmal Brian kannte die Wahrheit, und auch Debbie hatte sie nicht gekannt. Warum nur hatte sie beschlossen, Kate ins Vertrauen zu ziehen? Es war ein außergewöhnlicher, tollkühner Ausrutscher gewesen, der so gar nicht zu ihr passte, aber sie hatte sich gesagt, dass sie nichts zu befürchten hatte. Sie hatte Kate auf die Bibel schwören lassen, dass sie nie zu den Behörden gehen würde – wissend, dass Kate ihr Wort halten würde.
Was bedeutete, dass nun nur noch zwei lebende Menschen die Wahrheit kannten. Ihr Herz setzte einen Moment aus, als sie sich die andere Person als Killer vorstellte – aber das konnte nicht sein. Warum jetzt? Nach all diesen Jahren?
Leslie erschauerte. Sie würde der Polizei alles erzählen – nur die Fakten, nicht ihre Vermutungen über das Warum. Damit würde sie selbst eine Gegenüberstellung erzwingen und die Wahrheit ein für alle Mal herausfinden. Das Requiem kam ihr wieder in den Sinn, und sie summte das «Libera me». Sie hatte keine zehn Minuten mehr, deshalb beschloss sie, die Abkürzung zum Hintereingang der Schule zu nehmen, die Hays Road entlang. Die Straßen waren fast menschenleer, Autos fuhren langsam vorbei und wichen sorgfältig den immer größer werdenden Pfützen aus.
Am Zebrastreifen in der Osborne Road blieb Leslie vorsichtig stehen, drehte den Kopf in beide Richtungen und merkte, wie eingeschränkt ihr Gesichtsfeld war. Hinter ihr versteckte sich Constable Adams in der Einfahrt eines Geschäfts und blieb auf Distanz. Sie sah nach rechts, links und wieder nach rechts und wiederholte im Geiste die Worte wie in ihrer Kindheit. Die Straße war frei. Eine schwarze Limousine kam langsam auf die Kreuzung zu, noch so weit entfernt, dass sie ausreichend Zeit hatte, die Straße zu überqueren.
Leslie trat mit gesenktem Kopf auf den Zebrastreifen und wich den Pfützen aus. Sie hörte den heulenden Motor des heranrasenden Wagens ebenso wenig wie Adams’ Schrei. Erst als sie die Nähe spürte, den Luftzug, die Masse ahnte, hob sie den Kopf. Zu spät zu laufen, zu spät für alles, sie konnte nur noch einmal tief Luft holen, bevor die Stoßstange sie an den Schienbeinen traf und Sekundenbruchteile später der Kühler und der rechte Scheinwerfer ihr Becken und Schenkelknochen brachen.
Sie wurde auf die Haube geschleudert und schlug mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe, wo sternförmige Risse die Aufprallstelle markierten. Der Schwung riss sie weiter auf das Dach des Autos, von wo sie seitlich herunterfiel. Die Reifen verfehlten ihren Kopf nur um Millimeter, als sie mit dem Gesicht nach unten auf der angrenzenden Fahrspur lag. Das Auto kam mit quietschenden Reifen zum Stillstand, und die Lichter des Rückwärtsgangs gingen an, als Adams auf die Straße rannte. Nach einem Augenblick des Zögerns wurde der Vorwärtsgang wieder eingelegt, und der Wagen schoss mit quietschenden Reifen davon und verschwand mit halsbrecherischer Geschwindigkeit um die Kurve.
Adams rief Verstärkung und einen Notarzt und brüllte die Nummer des Scorpio in sein Funkgerät, während er zu Leslie lief. Er hatte sie zurückhalten wollen, aber er war zu weit entfernt gewesen. Jetzt kniete er neben der Frau und fühlte ihren Puls. Eine schwache Bewegung in der Schlagader, so unmerklich und unregelmäßig, dass er nicht sicher sein konnte. Behutsam vergewisserte er sich, dass ihre Atemwege frei waren, und hob ihren Kopf über die Pfütze.
Sie war fast exakt in die richtige Haltung gefallen, was ihm
Weitere Kostenlose Bücher