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Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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rasiert, germanisch, ausdruckslos, bis er zu singen anfing, da wurden seine hellblauen Augen weiß glühend. Der Bass an seiner Seite sorgte für die Balance des Quartetts, er überragte die anderen beinahe um Haupteslänge, stand rechts vom Dirigenten, dem Chor zugewandt und bildete einen würdigen Gegenpol zu Octavia. Der Brustkorb und das markante Gesicht des stattlichen Afroamerikaners deuteten auf eine Stimme hin, mit der man Armeen hätte befehligen können. Er warf, genau wie Octavia, kaum einen Blick in die Noten. Statt dessen schaute er auf die leeren Stuhlreihen und konnte es offenbar kaum erwarten, bis die eigentliche Aufführung begann.
    Fenwick fiel auf, dass sich der Assistant Chief Constable unwillkürlich vor die Gruppe der Polizisten gesetzt hatte und gebannt der Musik lauschte. Der Vorsitzende des Organisationskomitees kam mit zwei Klavierauszügen zu ihnen gewuselt, von denen er einen Fenwick und den anderen dessen Vorgesetzten in die Hand drückte.
    «Hier, nehmen Sie. Das wird Ihnen helfen, die Musik zu genießen», flüsterte er. Fenwicks Gesichtsausdruck schien Bände zu sprechen, denn er fügte hinzu: «Keine Bange, wenn Sie keine Noten lesen können – der Text wird Ihnen genug Hinweise liefern – und Sie müssen verstehen, was sie singen, wenn Sie es richtig würdigen wollen.»
    Ein Crescendo von Chor und Orchester übertönte Fenwicks Antwort; der Assistant Chief Constable blätterte verstohlen um und hoffte, die richtige Stelle zu finden.
    «Der Stil ist fast opernhaft.» Der Assistant Chief Constable legte den Klavierauszug unter seinen Stuhl.
    «Oh, das stimmt, ja», entgegnete der Vorsitzende. «Eigentlich ist es ganz und gar kein heiliges Stück. Es ist wahrer Verdi, Belcanto, eine echte Herausforderung für die Solisten.»
    Fenwick sah, dass sein Chef um eine Antwort verlegen war, und genoss den Anblick.
    «Belcanto?»
    «Ja, Sie wissen schon. Wie soll ich sagen? Es bedeutet, dass die Stimmen irgendwie über dem Orchester stehen; sie sind mehr als nur Vokalinstrumente; sie werden zum Herzstück des Ganzen.»
    Ein weiterer lauter Chorsatz übertönte die gedämpfte Stimme des Vorsitzenden, aber er plapperte unverdrossen weiter. Fenwick klinkte sich aus und überließ es dem Assistant Chief Constable, hin und wieder zu nicken und Verständnis zu heucheln. Er hörte erst wieder zu, als Octavias Name fiel.
    «… ja, großes Glück. Erstaunlich, dass sie zugesagt hat, erstaunlich. Dafür haben sich alle Unstimmigkeiten und Sorgen in den letzten Minuten gelohnt. Die Sopranpartie ist eine solche Herausforderung; nur wenige Künstlerinnen schaffen sie glaubwürdig, besonders das ‹Libera me›…»
    «Pardon?» Da es um Octavia ging, wollte er es genau wissen.
    «Hier, ich zeige es Ihnen. Seite … einhundertzweiundneunzig; da, sehen Sie, diesen Oktavsprung zum hohen B – und dann noch pianissimo . Erstaunlich, pianissimo . Allein dafür lohnt es sich zuzuhören.»
    Fenwick überflog die Seite und folgte dem Wurstfinger des Mannes. Eine Zeile war mit SOP gekennzeichnet, und er vermutete, dass das Octavias Part war. Es sah eigentlich eher einfach aus. Andernorts wuselten die Noten wie Ameisen über das ganze Blatt, kletterten auf einem ordentlichen Gitter herum, das sich bemühte, einem scheinbaren Chaos Struktur zu geben.
    «Was ist ein Requiem? »
    «Eigentlich eine Messe für die Toten.»
    Kannte Rowland die Bedeutung des Stücks, oder handelte es sich um einen makabren Zufall? Fenwick nahm das als weiteren Beweis für seine Überzeugung, dass der Mörder die Aufführung nutzen würde, um zuzuschlagen.
    «Und was genau ist eine Messe für die Toten?»
    «Nun. Das ist unterschiedlich, aber im Großen und Ganzen erbitten sie Gottes Gnade und Vergebung unserer Sünden. Manche sind optimistischer, andere weniger.»
    «Und diese?»
    «Leider nicht besonders hoffnungsvoll. Natürlich sehr eindrucksvoll, ungeheuer eindrucksvoll – und die Musik ist so berauschend, dass man manchmal geneigt ist, den Text zu vergessen. Aber es beginnt mit einem Gebet für ewige Ruhe und endet mit einer, wie ich finde, verzweifelten Bitte um Gnade. Bewegend, sehr bewegend.»
    Fenwick blätterte ganz nach hinten und überflog die letzten Textzeilen des Chors. Zuletzt blieb nur die Sopranistin übrig und sang ein klagendes Solo, während die Musik verstummte. Der Vorsitzende sah ihn lächelnd an.
    «Ja, wieder der Sopran. Sie leiht unseren Hoffnungen und Ängsten die Stimme. Es endet mit einem letzten

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