Requiem für eine Sängerin
trat auf den Laufsteg, der in der Mitte des Kirchenschiffs errichtet worden war, um den Zugang zu den dichten Sitzreihen zu erleichtern.
Über ihm ertönte ein gedämpftes «Plop». Eine Frau gab ein abfälliges «Tss, tss» von sich – er legte den Kopf in den Nacken, bis er den Mikrofonarm sowie Fuß und Wade eines Mannes sehen konnte. Der Techniker hatte seine Position verändert. Fenwick schaute auf den Brief, den er immer noch in der Hand hielt, und versuchte, sich an Octavias Worte zu erinnern. Etwas über ihre Tournee, darüber, wie wichtig der anschließende Plattenvertrag war.
Während das «Dies irae» immer mehr anschwoll, fiel es ihm ein: «Mein Agent und ich haben alles geplant: zahlreiche, qualitativ hochwertige Auftritte in den nächsten drei Monaten und absolut keine Aufnahmen – das ist eine Bedingung in all meinen Verträgen.»
Sie hätte einer Aufzeichnung dieses Konzerts unter gar keinen Umständen zugestimmt, und Katherine Johnstone wäre erfahren genug gewesen, das ohne Octavias Einwilligung auch nicht zu veranlassen. Es konnte keinen Vertrag über eine Aufnahme geben – selbst der Vorsitzende des Organisationskomitees war nicht sicher gewesen, wie es zu den Vereinbarungen gekommen war, und hatte auf den Brief überrascht reagiert.
Seine Angst wurde zur Gewissheit, und er rannte los, geradewegs auf die Treppe zu, die zum Triforium führte. Der laute Chorgesang schluckte seine Schritte, aber die plötzliche Bewegung erregte die Aufmerksamkeit der unauffälligen Beobachter, die sofort hellwach wurden und, die Hand an der Waffe, genau verfolgten, was er tat.
Er erreichte die Treppe in dem Moment, als die Musik verstummte. Er hörte das Rascheln, als sich der Chor setzte, und das erwartungsvolle Murmeln im Publikum, als die Solisten sich erhoben. Die steile Wendeltreppe bremste sein Vorwärtskommen. Oben an der Tür wollte der Polizist ihn aufhalten, obwohl er ihm seinen Dienstausweis vor die Nase hielt. Fenwick stolperte und wurde von dem Mann aufgefangen, der ihm nach wie vor den Weg versperrte.
Octavia stand stolz ganz vorn am Bühnenrand. Selbst auf die Entfernung hin war ihre Präsenz zu spüren. Rowland schob den Bolzen in den Armbrust-Läufer und brachte die Waffe in Anschlag. Ein paar Sekunden lang – während er anlegte – würde er zu sehen sein. Der Aufruhr an der Tür interessierte ihn nicht, seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt der Frau in Rot. Er justierte das Zielfernrohr und betätigte langsam den Abzug. Mit einer beiläufigen, geschmeidigen Bewegung fand er sein Ziel und schoss.
Ein enormes Gewicht fiel auf seine Schultern. Zuerst dachte er, der Turm aus Kästen wäre gekippt und läge auf ihm, dann merkte er, dass es ein Mann war. Von unten hörte er Schreie, und er lächelte trotz der Gefahr, in der er sich befand.
Er hatte keine Handfeuerwaffe, das war wegen der Leibesvisitationen unmöglich gewesen, aber sein Messer war ihm geblieben. Der Mann drückte ihm von hinten die Arme an die Seiten. Aus dem Augenwinkel konnte er eine Uniform erkennen. Mit aller Kraft rammte er dem Mann den Ellbogen in die Leibesmitte und spürte das gequälte Ausatmen im Nacken. Dann griff er nach dem Messer, das er sich vor die Brust geschnallt hatte. Es war klein, aber ausreichend. Fast beiläufig stieß er es dem Mann – die Knochen meidend – unter die Rippen und drehte es. Die kugelsichere Weste bot keinen Schutz vor einem Messer, und der junge Polizist, der noch eine Minute zuvor gelangweilt und müde hinter den Trompetern gestanden hatte, starb auf der Stelle.
Rowland wollte dem Mann das Messer aus der Brust ziehen, aber es steckte fest. Es war sinnlos; er brauchte das andere. Er kauerte im Schutz der Geländer, war dankbar für die kopflose Panik der Musiker ringsum und gönnte sich ein paar Sekunden zum Nachdenken und Planen. Von links kam ein bewaffneter Beamter, der schon fast bei ihm war und nur deshalb nicht schoss, weil er damit die umstehenden Zivilisten gefährdet hätte.
An der Tür hatte ein anderer Polizist die Waffe gezückt und versuchte verzweifelt, über die Köpfe der Trompeter hinweg zu zielen. Neben ihm kämpfte sich ein zweiter Mann zu ihm durch. Rowland erkannte Fenwick sofort. Seine Lippen formten den Namen des Mannes, und er sah ihm zum ersten Mal direkt in die Augen.
Der Weg zur Treppe war versperrt; er konnte durch den schlauchförmigen Emporenraum laufen, aber dorthin waren bereits andere unterwegs, um ihm den Weg abzuschneiden. Sein Wurfmesser
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