Requiem für eine Sängerin
flüsterte beinahe.
«Ja, aber ich habe Talent und Durchhaltevermögen und den Willen zum Erfolg. Das alles hatte Carol nicht. Sie war eine hübsche, sanftmütige Person mit einer angenehmen Stimme, aber es war keine große Stimme.»
«Wogegen Ihre eine war – ist?»
«Fragen Sie Ihren Chief Inspector, Sergeant. Er kann es Ihnen sagen!»
Fenwick winkte ab, worauf Cooper fortfuhr.
«Haben Sie bei dem Spaziergang noch jemanden gesehen – irgendjemanden?»
«Nein.»
«Gab es jemanden, der einen Groll gegen Carol gehegt haben könnte? Hatte sie Feinde?»
«Nein.»
«Was ist mit Jungs, Freunden? War sie sexuell sehr aktiv?»
Unerwartet errötete Anderson und wandte sich ab; ihre Fassung war für einen Moment dahin.
«Nun?»
«Es gab keine. Sie verstehen das nicht. Carol war nicht der Typ Mädchen.»
Sie konnte ihnen nicht in die Augen sehen.
«Wie gut kannten Sie Victor Rowland?»
Nun wich die Röte aus Andersons Gesicht, sie wurde so blass, dass es fast abstoßend wirkte.
«Nicht gut», sagte sie heiser und betrachtete ihre Hände; die Finger krampften sich um das Glas Orangensaft, das sie im Schoß hielt.
Fenwick musste an Leslie Smith denken, an dem Abend bevor sie überfahren worden war, und erkannte betroffen, dass Octavia Angst hatte.
«Stand er Carol sehr nahe?»
Sie warf ihm einen raschen Blick zu, dann schüttelte sie hastig den Kopf, brachte aber kein Wort heraus. Es war eindeutig eine Lüge. Warum?
«Wer stand ihr am nächsten?»
«Außer mir? Ihre Tante und ihr Onkel. Sie wohnte bei ihnen; nach dem Examen sollte sie dann nach Australien gehen. Sie war deswegen ganz aufgeregt.»
«Es wurde nicht angedeutet, dass sie an der Schule bleiben könnte?»
«Nein. Das war ganz und gar nicht vorgesehen; sie sollte ein College in Melbourne besuchen, eines der besten. Man ging davon aus, dass sie hervorragende Zensuren bekommen würde. Deshalb war es ja so dumm, dass sie wegen der Musik alles aufgeben wollte.»
Cooper spulte seine Fragen ab, aber Fenwick erschienen sie plötzlich sinnlos. Sie erfuhren so gut wie nichts mehr; Octavia hatte die Fassung wiedererlangt. Er gab Cooper ein Zeichen, dass es Zeit wurde, die Marschrichtung zu ändern.
«Ich denke, damit haben wir das erste Thema erschöpfend abgehakt. Wenden wir uns also dem nächsten zu.» Gleichgültig schlug Cooper eine neue Seite in seinem Notizbuch auf.
«Dem nächsten! Ich habe Termine, Sergeant!» Sie beugte sich vor, um von ihrem Orangensaft zu trinken, doch der war in dem warmen Zimmer schal geworden. «Was um alles in der Welt wollen Sie denn nun noch wissen?»
«Wo waren Sie am vierundzwanzigsten August?»
«Was? Woher soll ich das wissen? Und warum müssen Sie es wissen? Das ist lächerlich!»
«Miss Anderson, am Morgen des vierundzwanzigsten August wurde Leslie Smith Opfer eines schweren Unfalls mit Fahrerflucht. Wir müssen wissen, wo Sie sich zu dem Zeitpunkt aufgehalten haben.»
Als sie den Namen hörte, war es endgültig um ihre Selbstbeherrschung geschehen. Plötzlich flossen Tränen und tropften von ihrem Kinn, tränkten den apricotfarbenen Rock und hinterließen Spritzer auf ihrer weißen Bluse. Sie verzog keine Miene und gab außer einem leisen Stöhnen keinen Ton von sich, aber der Anblick ihres starren Gesichts mit den großen Kullertränen rührte Fenwick mehr, als es jeder hysterische Anfall vermocht hätte. Das war kein normaler Kummer, nicht die Trauer um eine verlorene Freundin, das war ein starrer, fast katatonischer Schock. Er setzte sich neben sie und löste behutsam ihre Finger von dem Glas, das sie immer noch umklammert hielt.
«Würden Sie wohl Miss Andersons Mädchen um etwas frischen Kaffee und Tee bitten, Cooper? Danke.» Als sie allein waren, sah er ihr in die Augen.
«Octavia, das war ein schwerer Schock, aber Sie müssen mit mir reden. Sie befinden sich in einer sehr ernsten Lage.»
«Ich … das wusste ich nicht. Ich hatte keine Ahnung. Ist sie tot?»
Fenwick schüttelte den Kopf, erklärte aber, wie ernst Smiths Zustand war.
«Das ist schrecklich, einfach grauenhaft. Leslie? Warum ausgerechnet Leslie? O Gott, wie? Wann war das?»
Fenwick skizzierte den Tathergang und suchte in ihrem Gesicht nach Spuren von Schuld.
«Wird sie wieder gesund? Wird sie überleben?» War das die Fürsorge einer Freundin oder das Interesse einer potenziellen Mörderin? Fenwick konnte es nicht sagen und blieb unverbindlich.
«Sie müssen begreifen, dass es für Sie sehr schlecht aussieht, Octavia!» Er sah
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