Revelations
Dorfältester so überzeugend, dass sie sich beinahe entschuldigt hätte, bevor er die Situation mit einem Lachen rettete.
»Ich weiß, dass Frank dir das Kommando übertragen hat«, begann er kurz darauf, als sich die heitere Stimmung gelegt hatte. »Und um ehrlich zu sein, wüsste ich niemand Besseren, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.«
Nun zog Angel gleich beide Augenbrauen hoch. Sie musste einen Moment lang überlegen, bis sie verstand, was Paul mit seiner altmodischen Redewendung meinte.
»Was habt ihr eigentlich in Brackwood erfahren? Wer sind diese Sicarii überhaupt?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Angel. Dann kniff sie ihre Augenlider zusammen und starrte den alten Mann zielstrebig an. »Aber ich kenne da jemanden, der es wissen sollte.«
Mit diesen Worten fegte sich die Lateinamerikanerin ihre braunen Haare aus dem Gesicht und begann mit dem Abstieg. Natürlich bot sie Paul ihre Hilfe an, doch ebenso selbstverständlich schlug er sie mit einem beleidigten Gesichtsausdruck aus. Angel achtete trotzdem auf jeden seiner Schritte an dem wackeligen Geländer, um ihn im Ernstfall auffangen zu können.
Die Sicarii hatten kaum ein Haus in Jaguar Bay unbeschädigt gelassen. Schwarzer Rauch stieg aus den unzähligen Ruinen und der beißende Gestank von Blut und verkohlten Leichen lag in der Luft. Laut Angels Befehl waren alle Trauerzeremonien untersagt und die Gefallenen stattdessen auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt worden. Sie rechnete jeden Moment mit einem Angriff auf ihren Flüchtlingskonvoi und wollte den Aufenthalt in dem ehemaligen Binnenhafen so kurz wie möglich halten. Die apokalyptische Detonation des Tanklagers von Silver Valley schien den Invasoren jedoch schwerer zugesetzt zu haben, als die Verteidiger zu hoffen gewagt hatten. Die Sicarii ließen sich nicht zu einer Verfolgungsjagd hinreißen und bis jetzt meldeten die Späher keinerlei Kontakte am Horizont.
Als Angel sich dem zum fahrenden Lazarett umgebauten Wohnmobil näherte, wurde sie bereits von Cassidy erwartet. Die Siebzehnjährige hatte den Sanitätern nach ihrer Ankunft ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse zur Verfügung gestellt und sich dabei ihre strähnigen, blonden Haare bis auf einen kleinen Pony zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
»Wie lange braucht ihr noch?«, wollte Angel flüsternd wissen, als sie Cassidys blutige Latexhandschuhe bemerkte. Das Mädchen rechnete eigentlich damit, nach Überlebenden oder Verletzungen gefragt zu werden und hätte sich dafür am liebsten selbst geohrfeigt. Inzwischen sollte sie ihre abgebrühte Ausbilderin schließlich kennen!
»Wir haben getan, was wir konnten. Viele Brandverletzungen und Splitterwunden von den Granateinschlägen. Wir versuchen, sparsam mit dem Morphium umzugehen, aber unsere anderen Schmerzmittel gehen zur Neige«, murmelte sie erschöpft. Trotz der offensichtlichen Unruhe stand ihr die Entschlossenheit zur Vergeltung deutlich ins Gesicht geschrieben. Angels Kampfgeist schien allmählich auf ihre Schülerin überzugehen. Selbst im Lazarett behielt sie ihre Pistole bei sich, um nie wieder hilflos zu sein.
»Wo ist Sharon?«, fragte Angel, nachdem sie die kleine Studentin nicht unter den Sanitätern entdecken konnte. Skeptisch musterte Cassidy sie einen Moment lang. Sie kannte diesen Gesichtsausdruck genau. Angel hatte einen Plan!
»Die studiert mit Cole und Jesse Landkarten.«
Cassidy streifte sich dabei die Latexhandschuhe ab und führte Angel schweigend durch das qualmende Jaguar Bay. Die Situation wirkte abstrakt und surreal, denn kaum jemand schien um die Toten zu trauern. Der Schock über die geradezu biblische Zerstörung der verbündeten Ortschaft glich einem Überdruck aus Leid und Schmerz, der die Gefühle der Menschen betäubte.
Geblendet von der Abendsonne holte Cassidy eine Sonnenbrille mit seitlichen Aluminiumschutzblenden hervor, die Jesse in den Ruinen gefunden und ihr geschenkt hatte. Zusammen mit ihrer neuen Frisur und den dunklen, kreisrunden Gläsern vor ihren Augen wirkte sie viel reifer als noch vor sechs Wochen, als Angel sie in einem Erdloch kauernd vor einem Rudel Steppenwölfe gerettet hatte. Vielleicht ließen sie ihre entbehrungsreichen Abenteuer aber auch einfach nur in Windeseile altern.
»Jesse?«, fragte Angel auf dem Weg. »Was macht der denn bei Cole?«
»Anscheinend haben sich die beiden angefreundet, als ich nicht hingeschaut habe!«
Als Sharon sie kommen sah, nahm die junge Rangerin ihre kleine Brille ab und lehnte sich
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