Rheinmaerchen
gänzlich in die Flucht geschlagen, sie flohen alle nach ihrem Kirchhof, den sie verschlossen.
Nun erbrachen die Schneider die Judenschule, in der es zu ihrem Erstaunen ganz helle war; denn da saß der lange Tag, so lang als er war, mit Zopfband an einem Pfeiler angebunden, und hatte ein großes Stück Matzekuchen in den Händen, an dem er aß, und sang mit vollem Maule ein hebräisch Lied. Er hatte einen himmelblauen Rock an, unten herum mit lauter Zimpeln behängt, und sang wie eine Nachtigall.
Die Schneider zögerten nicht lang, nähten ihm Hände und Füße zusammen, banden ihm Stricke an die Beine und schleiften ihn, in dem sie sich alle vorspannten, nach ihrer Herberge. Als sie durch die Straßen von Amsterdam den himmelblauen Labelang schleppten, ward es helle, und die Mittagssonne trat plötzlich über dem Rathaus hervor.
Der Jubel des Volks war allgemein; aber die Generalstaaten nahmen es den Schneidern sehr übel, daß sie den langen Tag auf die Herberge und nicht auf das Rathaus gebracht hatten. Sie kamen vor die Herberge geritten und forderten die Schneider auf, den langen Tag herauszugeben zum allgemeinen Besten der Republik. Aber die Schneider sagten: »Haben wir die Gefahr gehabt, so wollen wir auch den Genuß haben«, welches ihnen endlich auf unbestimmte Zeit zugestanden ward.
Nun waren die neunmal neunundneunzig Schneider gar nicht mehr zu bändigen vor Hoffart und Tapferkeit. Sie putzten sich den langen Tag mit tausend bunten Lappen und besetzten ihn mit Borten und gesponnenen Knöpfen, benähten ihn mit Steifleinwand und Kamelhaar; hierauf machten sie ein großes Netz und stellten es vor die Kellertür. Wütend stürzte der Bock herauf und verfing sich in dem Netze. Da warfen sie ihn an die Erde und vernähten ihm alle Luftlöcher des Leibes, daß er kaum atmen konnte.
Nun banden sie ihn an eine Menge Stricke, setzten den langen Tag auf ihn und führten ihn mit Triumph durch die Straßen von Amsterdam unter dem lauten Jubel der Menge. Da fiel plötzlich ein großer Schnee, und weil die Schneider gut getrunken hatten, glitten sie hie und da aus; der Bock gewann dadurch die Freiheit, nahm sich zusammen und begann in Carriere nach der Judengasse zu rennen. Viele der Schneider, die nicht loslassen wollten, wurden erbärmlich geschleift. Mein Vater aber, der ein Stück Tuchende an den Schwanz des Bocks gebunden hatte, woran er ihn führte, wollte wenigstens seinen Teil nicht losgeben. Schnell zog er seine Schere, und schon stürzte der Bock mit den Vorderfüßen durch das Tor der Judengasse, als er ihm glücklich den Schwanz noch abschnitt und diesen, wenn er gleich darüber tüchtig auf den Hintern fiel, wenigstens doch rettete.
Der lange Tag aber war verloren, der Bock riß ihn mit durch das Pförtchen des Judentors; abstreifen konnte er ihn nicht, denn die Schneider hatten ihn an den Bock festgemacht.
Da es aber trotz seines Verlustes hell blieb und die Finsternis sich ganz verloren hatte, wollten sie es nicht noch einmal wagen, ihn zu erobern, und zogen, von den undankbaren Amsterdamern verspottet und verlacht, nach ihrer Herberge zurück. Um hier nicht den Anschein zu haben, als hätte sie der kleine Unfall gebeugt, veranlaßten sie eine Gasterei und eine Schlittenfahrt, an deren Folgen die meisten der edlen Helden zu Grunde gingen. Dieses ganze Fest habe ich in Reime gebracht und will es euch singen, liebe Mitbürger:
Als nun die Schneider zur Herberg kamen,
Da konnten sie nicht hinein;
Da krochen ihr neunzig,
Neunmal neunundneunzig
Zum Schlüsselloch hinein.
Und da sie nun versammelt waren,
Da hielten sie einen Rat,
Da saßen ihrer neunzig,
Neunmal neunundneunzig
Auf einem Kartenblatt.
Und weil sie alle hungrig waren,
Da hielten sie einen Schmaus,
Da fraßen ihrer neunzig,
Neunmal neunundneunzig
An einer gebratenen Maus.
Und weil sie alle durstig waren,
So faßten sie einen Mut
Und soffen alle neunzig,
Neunmal neunundneunzig
Aus einem Fingerhut.
Und weil der Schnee gefallen war,
So hielten sie Schlittenfahrt,
Und fuhren ihrer neunzig,
Neunmal neunundneunzig
Auf einem Geißenbart.
Und als sie wieder zur Herberg kamen,
So hielten sie einen Tanz,
Da tanzten ihrer neunzig,
Neunmal neunundneunzig
Auf einem Geißenschwanz.
Und als sie all besoffen waren,
So sahen sie nichts mehr
Und krochen ihrer neunzig
Neunmal neunundneunzig
In eine Lichtputzscheer.
Und als sie ausgeschlafen hatten,
Da konnten sie nicht heraus,
Da warf sie alle neunzig,
Neunmal neunundneunzig
Der Wirt zum Fenster
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