Rheinmaerchen
Sie als Obersthofmeisterin mußte die Herrschaft empfangen. Sie legte sich in den größten Staat und trat mit der hoffärtigsten Miene in den Audienzsaal, fest versichert, nun ihre Tochter als Königin hereintreten zu sehen.
Alles war versammelt, die Türe öffnete sich: Biber führte nach der Sitte des Landes seine Frau verschleiert herein. Die Obersthofmeisterin Wirx mußte ihr den Schleier abnehmen. Sie ging triumphierend auf sie los und, fest überzeugt, ihre Tochter als Königin zu präsentieren, hob sie den Schleier weg – und tat einen lauten Schrei, als sie Murmeltier heil und gesund fand. Wütend lief sie nach der Brautkammer, riß die Vorhänge des Brautbettes auseinander, und als sie da ihre Tochter zu Kohlen verbrannt sah, gestand sie ihre gräßliche Tat der ganzen Versammlung, die ihr gefolgt war, und sprang rasend, ehe man sie halten konnte, von dem Schloßfenster hinab in den Rhein.
Nun ging der König und die Königin und der ganze Hofstaat in die Kirche, Gott für die abgewendete Gefahr zu danken, und regierten ein Jahr lang ihr Volk ruhig.
Doch währte das nicht lange. Ein benachbarter König wollte den Biber nicht als Regenten über Burgund anerkennen und zog mit einem großen Kriegsheer ins Land, wo er eine große Partei unter dem Adel hatte. Der Aufstand ward allgemein, der Biber sagte da zu Murmeltier: »Wenn du nicht wärst, so wüßte, ich wohl, was ich täte.« – »Was würdest du denn tun?« – »Ei! ich würde«, erwiderte Biber, »zu dem närrischen Volke sagen: Laßt euch regieren, von wem ihr Lust habt, und würde weg gehn und ein Fischer sein nach wie vor.« – »Von Herzen bin ich das zufrieden«, sagte Murmeltier und umarmte ihn und nahm ihre Spindel und ihren Schäferstab und die Amsel in dem Badwännlein, und was sie sonst hatte, und trat mit ihrem Fischer vor das Volk und sagte: »Lebt wohl, allerliebste Untertanen! Laßt euch regieren, von wem ihr wollt«, und verließ mit ihm das Land. Anfangs bauten sie ihre Fischerhütte, wo der Biber am Rhein war wiedergefunden worden, und nannten den Ort Biberich; dann zogen sie hierher nach Mainz und lebten glücklich; der Himmel schenkte ihnen ein Töchterlein, das hieß Ameleychen.
So weit hatte Frau Marzibille erzählt, als alles schrie: »Ameleychen! Ameleychen!« und siehe da, das liebe Kind schwamm eben auf dem Kahne von Schwänen gezogen heran und eilte seiner Mutter in den Schoß, die vor Freude nicht wußte, was sie machen sollte.
Auch der Fischer Peter umarmte sein Kind zärtlich, und dann die Königin Ameley, der das Mägdlein wie auch dem Radlauf viele Grüße vom Vater Rhein mitbrachte.
Als sich die freudigen Herzen wieder ein wenig beruhigt hatten, besah Frau Marzibille ihr Kindlein von oben bis unten und sagte: »Gott sei Dank, Herzkind! Es fehlt dir nichts, du bist so frisch und gesund.« – »Ja, das bin ich,« sagte Ameleychen, »aber was macht denn Weißmäuschen und Goldfischchen?« Auf diese Worte des Kindes nahten sich Prinz Philipp und Prinz Georg und umarmten das Kind mit den Worten: »Liebes Ameleychen! sieh, wir sind nun Prinzen geworden, aber wir wollen dich immer lieben und dir Gutes tun.« Ameleychen sah sie verwundert an und küßte ihnen die Hände, worauf es zu seiner Mutter zurücklief.
»Lieber Fischer Petrus!« sagte nun der König Radlauf, »Ihr seid also der treue Biber, und ihr, Frau Marzibille, seid das treue Murmeltier!« – »Ja,« sagten beide, »das sind wir.« Da erwiderte Radlauf: »Nun, wohlan! so will ich euch euer Königreich Burgund wieder erobern, so ihr es wollt.« – »Nein, nein!« schrieen beide, »wir wollen lieber hierbleiben bei Euch.« Da sagte der König: »So schenke ich euch das Land zu Biberich, wo ihr zuerst gewohnt, und ich will euch ein Schloß hinbauen, aus dessen Fenstern ihr fischen könnt.« Dafür dankten sie nun beide schönstens, und Radlauf sagte: »Ehe wir heute morgen auseinandergehen, bestimmet mir, Frau Marzibille, wer nach Euch erzählen soll.« Da schrie ein feines Stimmchen aus der Menge: »Wartet noch ein bißchen, ich will erst dem Ameleychen sein neu Kleidchen anprobieren!« Und siehe da, ein kleines Männchen, nicht viel länger als ein Daumen, führte einen schönen Geißbock heran, auf dessen Rücken ein allerliebstes rotes Röckchen lag. Er nahte sich der Frau Marzibille und sprach: »Liebe Frau Nachbarin! da ich Euch immer lieb gehabt, und ihr mir manches Fischchen in der Hungersnot geschenkt habt, so habe ich in den letzten Tagen Eurem
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