Rheinmaerchen
Speiskammer
Solln sie zur Tafel gehn;
In deines Vaters Krautgarten
Solln sie spazieren gehn;
Den Thron ihm ganz verderben
Und seines Hauses Schwell,
Und wenn auch hundert sterben,
Stehn tausend auf der Stell.
Solang, bis er wird halten
Sein hohes Königswort,
Solln meine Landsknecht schalten
Mit Rauben und mit Mord;
Dich werden sie verehren,
O schöne Ameley!
Das tu den König belehren;
Leb wohl und bleibe treu!
Als er dies gesungen hatte, sagte ihm Ameley weinend gute Nacht und machte das Fenster zu; denn sie wurde von ihrer Mutter gerufen.
Radlauf ging hinauf auf einen Felsen, der Eichelstein genannt, und pfiff einen lustigen Marsch, und kaum hatte er einige Minuten gepfiffen, als er in der Ferne ein großes Gezwitscher hörte. Der Nachtwächter ging vorbei und sagte: »Ei! was pfeift der Wispelwind heut närrisch im Rheingau!« Die Schildwache aber sagte: »Nein! ich glaube, es sind die Grillen.« Da machte ein Bäcker seinen Laden auf und sagte: »Ei! was zwitschern die Schwalben heute wunderlich!« Dann guckte ein Schneider zum Fenster heraus und sagte: »Wie heut dem Scherenschleifer sein Rad seltsam zischt!« Der Nachtwächter sagte dann wieder: »Es pfeift wie hunderttausend neue Schnupftabaksdosen!« Die Schildwache sagte: »Ich glaube, das wilde Heer wetzt die Jagdmesser«; und so kamen sie in einen lauten Streit, was es sei.
Aber das Pfeifen ward immer stärker, und die Leute wachten alle auf und in allen Fenstern ward Licht; Radlauf aber zog ruhig zur Stadt hinaus und sagte hie und da, wo ihn die Leute fragten, was wohl das entsetzliche Gepfeif sei: das werde wohl des Müllers Kriegsvolk sein, dem der König nicht Wort gehalten.
Als das Pfeifen immer stärker wurde, glaubte der König im Schlaf, es sei die Königin, die so mit der Nase pfeife, und er gab ihr einen Schlag, daß sie aufwachte und bös ward und ihn wieder schlug. Er sagte, sie solle nicht so pfeifen; aber bald merkten sie es wohl, denn die ganze Stadt war in Alarm, und alles schrie: Mäuse! Mäuse!
Nun konnte weder der König noch die Königin eine Maus sehen, ohne in Ohnmacht zu fallen, solchen Widerwillen hatten sie gegen diese Tierchen; aber das half hier nichts, denn in wenigen Minuten liefen sie schon außen an den Schloßfenstern in die Höhe, und es war ein solch Geknister und Gepfeife in allen Wänden, daß man in steter Todesangst war.
Nun waren zwar viele Katzen in Mainz; aber der König ließ sie alle wegfangen und um seine Stube herum setzen, und das Volk war ganz hilflos. Es war ein Geschrei, daß man sein eigen Wort nicht mehr hörte; denn nun kamen noch die Bauern aus den ringsum liegenden Dörfern und schrieen, daß die Mäuse ihnen alles Getreide abfräßen und das Korn auf den Speichern.
In solcher Angst war die Sonne aufgegangen, und es ward von den Mäusen etwas stiller; denn sie lieben das Licht nicht. Der geängstigte König und die Königin steckten den Kopf unter der Bettdecke hervor, und die schöne Ameleya trat herein und sagte, wie sie gar nichts von den Mäusen gelitten habe, und wie ihr der Müller Radlauf heut nacht im Traum erschienen sei und ihr gesagt habe, ehe der König sein Wort nicht halte, werde er seine Kriegsvölker nicht zurückziehen.
Als der König dies hörte, erinnerte er sich auch an die Worte der Königin von Trier, die ihm auf dem Rhein zugerufen hatte: »Ei! daß dich das Mäuschen beiß!« und er befahl nun, es sollten gleich zwei Trompeter zu Radlauf reiten und ihn höflich einladen, zu einer Unterredung nach Mainz zu kommen.
Als die Trompeter nach Radlaufs Mühle kamen, stand dieser vor der Türe und schrie ihnen entgegen: »Schon gut, ihr Herren! ich komme schon; ich kann mir schon denken, was ihr wollt«, und ohne sie nur anzuhören, sattelte er seinen Esel und ritt mit ihnen nach Mainz. Seine Pfeife hatte er umhängen, und als er zum Tor einritt, pfiff er einige Töne, worüber alle Mäuse sich verkrochen und still wurden.
Als er vor dem Schloß stand, sah der König zum Fenster heraus und konnte vor Zorn kaum reden; aber endlich sammelte er sich und sprach: »Müller Radlauf! wie hast du mir die Mäuse ins Land gebracht?« – »Mein gnädigster Herr Schwiegervater!« sagte Radlauf, »mit dieser Pfeife.« – »Und wo hast du die Pfeife her?« – »Die hat mir mein Freund, der alte Rhein, im Rohr geschnitten.« – »Müller Radlauf! du willst mich zwingen, dir die schöne Ameley zu geben, und ich will es auch tun; schicke mir zu einem Zeichen deines Vertrauens deine Pfeife
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