Rheinmaerchen
Trost verleihen.
Als Mausohr und der Rattenkönig sich erst genug über das kleine artige Weißmäuschen verwundert hatten, ließen sie sich alles von ihm erzählen, und es ließ sich das nicht zweimal sagen, und sagte ihnen, was es nur wußte von Ameleychen und der frommen Fischerin und von der Not der armen Mainzer; auch schenkte es dem Rattenkönig das Zuckerbretzelchen, das ihm die Fischerin mitgegeben; es hatte es zu diesem Zwecke aufgehoben. Der Rattenkönig dankte ihm und hängte es zum ewigen Angedenken an die gute Frau in die goldne Laube, über dem Grabmal, mitten unter die schönsten Edelsteine, wo es noch bis auf den heutigen Tag zu sehen ist.
Nun überlegten Mausohr und der Rattenkönig, wie den Mainzern am schnellsten zu helfen sei, und Mausohr sprach: »Wenngleich die Mainzer geholfen haben, meine selige Frau Mutter und meinen Bruder zu verspotten: so sind sie durch den Verlust ihrer Kinder, die ich im ersten Zorn in den Rhein gepfiffen habe, doch wohl schon zu hart bestraft; ich will mit meinen Soldaten hinmarschieren und den bösen König absetzen und die Gefangenen befreien.«
Hierauf sprach der Rattenkönig: »Ich will eine neue Armee von Ratten und Mäusen hinschicken, die sollen den König und die Königin allein anfallen; die Pfeife hat er damals in den Rhein werfen lassen, und er soll sie deswegen diesmal nicht von sich vertreiben können; nun mache dich sogleich auf und zeige den noch übrigen Mäusen und Ratten auf der Insel bei Bingen an, sie sollen morgen abend alle bei Rhense auf dem Königsstuhl sich versammeln, ich werde auch dort eintreffen; wir wollen einen Kriegszug tun, der glücklicher ausfallen soll als unser letzter.«
Nachdem das Weißmäuschen diesen Auftrag erhalten, küßte es dem Rattenkönig die Pfote und bat sich die Erlaubnis aus, auch dem König Mausohr die Hand zu küssen. Dieser erlaubte es und schenkte ihm eine goldene Schnupftabaksdose mit seinem Portrait mit Brillanten besetzt. »Ach!« sagte Weißmäuschen, »sie ist ja gar zu groß; wenn ich einmal Hochzeit halte, will ich drin schlafen, hebt mir sie auf!« – »Nun das will ich,« sagte Prinz Mausohr, »aber hier hast du was, was du gleich mitnehmen kannst« – und nun nahm er einen brillantenen Hemdknopf aus seinem Hemdärmel und band ihn dem Weißmäuschen um den Hals, worüber es eine große Freude hatte, und unter tausend Danksagungen, nachdem der Rattenkönig es aus den goldenen Händen der Königin hatte essen und trinken lassen, seinen Abschied nahm, um die Befehle auf die Insel bei Bingen zu bringen.
Der Rattenkönig begab sich gleich in die Stadt und pfiff alle Mäuse und Ratten zusammen und schickte welche aufs Land, die auch pfeifen mußten, und mit Anbruch des Tages hatte er schon über eine halbe Million Mäuse beisammen. Damit sie nun, wo sie durchmarschierten, dem Lande nichts schaden sollten, wurden als Proviant eine ungeheure Menge von Kürbissen ausgehöhlt und mit Weizen angefüllt, und vor jeden zwölf Mäuse oder vier Ratten gespannt. Und so ging der Kriegszug in schönster Ordnung fünfzig Mann hoch, immer 2500 in einem Regiment, mit einer Spitzmaus an der Spitze als General. Diesen Spitzmäusen war befohlen, dann und wann zu pfeifen, damit man sich in der Nacht nicht verirren möchte. Der Rattenkönig selbst ritt auf einem Iltis und hatte vier Irrwische vor sich hergehen, die ihm leuchteten.
So ging der Zug nach Rhense bei Koblenz auf den Königsstuhl, wo die Versammlung sein sollte.
Dieser Königsstuhl ist eine steinerne runde Galerie mit Bänken ringsherum, auf acht Säulen ruhend, wohinauf eine Treppe führt. Es kamen vor alten guten Zeiten die Leute da zusammen, die gerne einen König gehabt hätten, und zählten, wie die Kinder im Spiel, mit lustigen Reimen nach Silben untereinander ab, wer König im Reich sein solle, und alles ging dabei unter offenem Himmel ganz deutsch weg. Nachher aber hat man dem Reich den Stuhl vor die Türe gesetzt und, da man den Wirt nicht zahlen können, ihm den Stuhl auf Abbruch in die Zeche gegeben; der hat ihn dann in sein Wirtsschild gemalt. – Gerade wie die ehemals lebendigen Staatstiere später in die Wappen gemalt worden sind.
Um diesen Königsstuhl nun versammelte sich das Kriegsheer des Rattenkönigs, und er ritt auf seinem Iltis mit den vier Irrwischen hinauf; er fand das Weißmäuschen und seine Leute von der Binger Insel schon oben auf der Bank herumsitzen, und nachdem sie sich bewillkommt hatten, begannen sie zu beratschlagen, wie man
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