Rheinmaerchen
Menschen drängten sich herbei, und Radlauf stieg zu Pferd, und die Ritter auch, und sie ritten durch die ganze Stadt und das Volk huldigte ihm.
Am andern Morgen ward er gekrönt und hielt eine schöne Rede und sagte unter anderm: »Nun, lieben Bürger! wollen wir vor allem daran denken, die Prinzessin Ameley und die übrigen Kinder bei dem Vater Rhein auszulösen; wer soll ihm das erste Märchen erzählen?« Da schrieen ein paar alte Judenweiber: »Ich, ich, mein Nathan ist ein wahrer Daniel, meine Rachel ist ein Wunderkind!« Die andern Leute schrieen alle: »Der König Radlauf!«
Nun sagte Radlauf: »Ich danke euch; ihr zwei Judenweiber sollt wegen eurer Nasenweisheit die letzten sein, und ich schlage vor, daß jeder seinen Nachfolger in der Erzählung nennen soll, und nenne ich dann nach mir den Fischer Petrus, der euch viel Gutes erwiesen.«
Alles war damit zufrieden, außer den zwei Judenweibern.
Nun sagte Radlauf: »Jetzt gehet hin und besinne sich jeder auf eine Geschichte; ich will mich auch besinnen. Das Wappen dieses Landes sei von nun an ein Rad, weil ich ein Müller war. Morgen früh bei Sonnenaufgang kommt an den Rhein, da will ich mein Märchen erzählen, und ihr könnt gleich eure Königin empfangen, denn wir sehen sie gewiß sogleich wieder; der Rhein hält Wort; gut Nacht!«
Alles legte sich schlafen, außer den Zimmerleuten; die schlugen einen Thron am Rhein auf und schmückten ihn mit Blumen und Bändern; und eigentlich schlief niemand viel, denn alle besannen sich auf Märchen. So ging die Nacht hin.
Kaum graute der Morgen, so versammelte sich das Volk; aber die ersten schon, welche Petrus und Marzibille waren, fanden den Platz nicht leer, denn Radlauf hatte die ganze Nacht, von seinen zwölf Rittern umgeben, auf dem Thron gesessen und mit Sehnsucht des Tags erwartet. Als alles versammelt war, erzählte Radlauf folgende Geschichte:
Das Märchen von dem Hause Starenberg und den Ahnen des Müllers Radlauf
Radlauf erzählt, wie er den Kohlenjockel, den Kautzenveitel und den Grubenhansel fand, auch von der alten Mühle und den zwölf Mühlknappen und wie er mit dem Leichenzug des schwarzen Hans vom Wasser verschlungen wurde.
Lieben Männer und Frauen von Mainz, vor allem muß ich euch erzählen, wo ich so lange gewesen bin; nun höret also:
Schon seit mehreren Jahren hatte ich einen schönen schwarzen Starmatz in einem Käficht auf meiner Mühle; er war mir von freien Stücken zugeflogen und war gleich so vertraut mit mir gewesen, als kennten wir uns von Kindesbeinen auf; wenn ich in meiner Mühle herumging, hüpfte er mir von einem Sack zum andern nach; wenn ich aß, saß er auf meinem Tisch. Nie beschmutzte er etwas; wenn ich ihm abends den Käficht nicht verschlossen, fand ich ihn morgens oft dicht neben meinem Kopfe auf meinem Bett sitzen. Kurz, er war voll Freundschaft zu mir, und sozusagen verständig wie ein Mensch; nur eine Eigenschaft aller übrigen Staren vermißte ich an ihm, die Lust zu schwätzen; nie ließ er einen Laut von sich hören, ich mochte ihm vorplaudern, vorpfeifen, sein Schnabel blieb verschlossen. Wenn ich manchmal gar zu sehr in ihn drang, sich doch vernehmen zu lassen, oder wenn ich ihn gar einen recht dummen stummen Vogel nannte: glaubte ich ihm traurig seufzen zu hören und sah ihn den Kopf schütteln. So hatte ich mich ganz an sein Wesen gewöhnt, und wir verstanden uns vollkommen. An dem Tag aber, da ich meine geliebte Braut Ameley aus dem Wasser zog und in meine Mühle führte, war mein schwarzer Hans auch ganz ungewöhnlich traurig; er hing die Flügel und den Kopf, als sollte er sterben. Die Prinzessin machte in der Stube und ich in der Kammer den Küchenzettel; wie erschrak ich nicht, als mein Vogel plötzlich anfing zu sprechen; er sagte mir, daß er der Fürst von Starenberg sei, und daß er die Prinzessin Ameley noch einmal sehen wollte und dann sterben; dabei sah er so vornehm aus und hatte eine so adelige melancholische Miene, daß ich ihm meinen Respekt nicht genug bezeigen konnte; ich öffnete ihm die Türe, er ging zu der Prinzessin Ameley, sagte ihr abermal, er sei der junge Fürst von Starenberg und wolle nun sterben; dabei zog er vor ihren Augen eine goldne Nadel, die er unter dem Flügel trug, hervor und stach sie sich durchs Herz, daß sie vor Schrecken ohnmächtig niedersank. Wir rupften und brieten und aßen den liebenswürdigen Selbstmörder unter bittern Tränen, und ich habe ihn nie vergessen können.
Als ich nun glücklich hier aus des
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