Richard Castle
mich, ob Ihre Neugier nicht noch weiter geht.“
„Sehen Sie, genau das ist der Teil, den ich hasse.“
Er lächelte. „Das geht anfangs allen so.“ Dann fuhr er fort. „Mir ist egal, wie belastbar Sie sind, Nikki, Sie haben nach diesen Erlebnissen eine Menge zu verarbeiten.“
„Deswegen habe ich Sie angerufen.“
„Ich bin mir sicher, dass Sie nicht nur Ihr Trauma und Ihren Verlust neu durchleben, sondern auch eine nicht unerhebliche Menge an Wut und ein Gefühl des Verrats erfahren. Ganz zu schweigen von der Verwirrung bezüglich Ihrer eigenen Entscheidungen und Instinkte. Als Polizistin bei Verbrechen. Als Frau bei Männern.“
Nikki lehnte sich zurück und legte ihren Nacken gegen das Kissen. Während sie auf das makellose Weiß der Decke starrte, versuchte sie, die Verwirrung wegzuwünschen und den Ordnungssinn zurückzugewinnen, den sie am Tag zuvor noch besessen hatte. „Ich fühle mich, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Nicht nur bei dem Fall, sondern auch bei dem, was ich bisher für mein Leben gehalten habe. Bei dem, was ich bisher für Liebe gehalten habe. Ich weiß einfach nicht mehr, worauf ich noch vertrauen kann.“
„Und für Sie ist Vertrauen das Wichtigste im Leben. Misstrauen fühlt sich … Nun ja, es ist chaotisch.“
„Ja“, erwiderte sie, aber es war kaum mehr als ein tonloses Flüstern. „Und genau das fühle ich jetzt. Ich habe mir immer vorgestellt, dass die Aufklärung der Ermordung meiner Mutter eindeutig und ordentlich sein würde. Doch nun fühle ich nur …“ Sie bewegte ihren Finger im Kreis, um einen Wirbelsturm anzudeuten.
„Das bezweifle ich nicht. Besonders da sie von jemandem betrogen wurden, der Ihnen sehr nahestand. Aber könnte es auch zum Teil daran liegen, dass Ihr ganzes Leben so sehr von diesem Fall bestimmt wurde, dass Sie Angst haben, nicht mehr zu wissen, wer Sie eigentlich sind, sobald er aufgeklärt ist?“
Sie setzte sich auf, um ihn anzusehen. „Nein, was mich beunruhigt, ist die Tatsache, dass der Fall immer noch nicht vollständig aufgeklärt ist und ich meine Mutter nicht enttäuschen will.“
„Sie können sie nicht enttäuschen. Sie ist tot.“
„Und der Mann, der ihren Tod angeordnet hat, befindet sich immer noch irgendwo da draußen.“
„Dann werden Sie tun, was Sie tun müssen. Das weiß ich allein aufgrund Ihrer einzigartigen Definition eines Zwangsurlaubs.“ Sie nickte zustimmend, aber humorlos. „Ich möchte Sie bitten, zu versuchen, bei dieser ganzen Sache den Überblick zu bewahren, so überwältigend das alles auch sein mag. Misstrauen verbreitet sich wie von selbst. Es ist wie ein Virus. Sie können nicht Ihre Arbeit machen – oder Ihr Leben führen – wenn Sie ständig Ihre Instinkte hinterfragen. Dadurch werden Sie über kurz oder lang zum sprichwörtlichen Reh im Scheinwerferlicht. Wem vertrauen Sie am meisten, Nikki?“
„Rook.“
„Können Sie mit ihm darüber sprechen?“
Nikki zuckte mit den Schultern. „Sicher.“
„Offen?“ Sie zögerte, womit sie die Frage beantwortete. „Meine Erfahrungen mit Polizisten in diesem Raum haben ergeben, dass Würde unter Druck in einzelnen Situationen gut funktioniert. Aber als Lebenseinstellung fordert es seinen Tribut. Es ist der Stoizismus. Sie sind allein.“
„Aber jetzt bin ich es nicht mehr. Ich habe Rook.“
„Wie nah stehen Sie sich wirklich?“ Er drängte sie nicht zu einer Antwort, sondern ließ stattdessen für eine Weile das sanfte Ticken des Sekundenzeigers der Uhr an der Wand hinter ihr wirken, bevor er fortfuhr.
„Wenn wir Glück haben, ringen wir irgendwann damit, wie viel von uns selbst wir anderen offenbaren. Bei der Arbeit. In Freundschaften. In Beziehungen. Sie und Don haben diesen Ringkampf auf einer rein körperlichen Ebene ausgetragen, ohne Gefühle zu offenbaren oder zu teilen. Das hat aufgrund Ihrer Gleichwertigkeit funktioniert. Keiner von Ihnen wollte die Beziehung vertiefen. Das wird jedoch nicht bei allen Beziehungen so sein. Vielleicht wollen Sie eines Tages mehr von sich preisgeben als jemand anders. Aber nach dem, was Sie mir erzählt haben, scheint wohl eher das Gegenteil zuzutreffen. Also werden Sie sich – langfristig gesehen – dem Problem irgendwann stellen müssen, wenn Rook mehr Intimität benötigt, als Sie zu geben bereit sind. Möglicherweise wird er sich daraufhin von Ihnen abwenden. Nicht jetzt, aber irgendwann wird dieser Tag kommen. Und dann werden Sie sich ihm entweder voll und ganz
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