Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
für Menschen gebaut. An Bord dieses Schiffes gab es keinerlei Technik der Konkordanz. Es gab dort nichts, was ausschließlich aus Rücksicht auf das Sicherheitsbedürfnis der Bürger eingebaut worden war. Mit jedem einzelnen Detail, von der Umgebungsbeleuchtung bis zu Farbkombinationen, von der Art und Weise der Türverriegelungen und der Tischhöhe bis zum Geschmack der Luft selbst, zeigte dieser Ramjet, dass er von den Bürgern unabhängige Wurzeln hatte.
Kein Kolonist hatte jemals eine derartige Umgebung erlebt.
Dass dieser schon seit langer Zeit leer stehende Ramjet die Kolonisten ansprach, erleichterte es Nessus natürlich zu verhindern, dass die Kolonisten an Bord der Preserver über irgendetwas stolperten, was der Konkordanz ganz und gar nicht recht gewesen wäre. Zumindest dafür war Nessus dankbar.
Er vergrub sich tiefer in einem Kissenstapel. Vieles hatte sich am Verhältnis zwischen ihm und seiner ehemaligen Mannschaft verändert – einiges davon kaum merklich, anderes ungleich deutlicher. Erics so kurz geschorenes Haar, sodass er fast kahl wirkte, war nur das Auffälligste davon. Kirsten und Omar verhielten sich Nessus gegenüber immer noch in gewisser Weise freundschaftlich, selbst wenn eine gewisse Vorsicht in ihrem Verhalten auch ihnen nicht abzusprechen war. Dieser Neuankömmling Sven mochte vielleicht eines Tages ein Freund werden.
Fort war die Unterwürfigkeit, die ihnen in Generationen der Indoktrination eingeimpft worden war. Es war, als würde Nessus die Preserver – und die vielen Geheimnisse, die dieses Schiff bereithielt – mit Wildmenschen teilen.
Eine Katastrophe kündigte sich an, und Nessus zitterte am ganzen Leib.
Rot blinkte ein Lämpchen in dem Drahtgerüstmodell-Holo der Preserver auf, das unmittelbar vor Nessus in der Luft schwebte. Ein warmer Körper hatte die Brücke betreten. Während Nessus aufstand, stimmte er mit beiden Kehlen einen wortlosen Trauergesang an. Die Brücke der Preserver war nur einen Stepperscheiben-Schritt von seiner Kabine entfernt. Nessus ging davon aus, dass er dort Kirsten vorfinden würde.
Es wäre nicht gut, wenn die Kolonisten erführen, dass Nessus sie beobachtete. Statt also die Brücke der Preserver zu betreten, materialisierte Nessus auf der Stepperscheibe kurz vor der Gangway, die zur Long Pass führte.
Im Tagesraum stieß er auf Sven, der gerade tief in ein Gespräch mit Jeeves verwickelt war. Eric und Omar standen im Maschinenraum des Ramjets und diskutierten mit einem Experten von General Products technische Details, die Nessus für alle Zeiten verschlossen bleiben würden.
Irgendetwas ließ vermuten, dass die Kolonisten tatsächlich Fortschritte gemacht hatten, doch solange er nicht genau sagen konnte, was diesen Eindruck erweckt haben mochte, wollte er seine Zunge nicht dafür ins Feuer legen. Und dann hatte er es: Das dicke Stromkabel fehlte, das sich zuvor wie eine Schlange quer durch das Schiff gezogen hatte: von einem Hilfsfusionsgenerator der Preserver durch die offene Luftschleuse hindurch, dann mehrere Korridore entlang und Treppen hinab, bis hin zur Hauptstromverteilertafel in diesem Raum.
Die Long Pass war jetzt hinreichend repariert oder aufgetankt, um sich eigenständig mit Energie zu versorgen.
Nike musste Zeit schinden – aber warum, hatte er Nessus bislang noch nicht erklärt. Sollten die Kolonisten doch ruhig Zeit darauf verschwenden, dieses Schiff wieder ganz instand zu setzen – es würde niemals wieder ins All hinausfahren. Die gewaltigen Tore, die sich einst geöffnet hatten, um die Long Pass zu verschlucken, waren jetzt nanotechnisch versiegelt. Und genau wie die Entropie selbst war auch der Verbund dieser Supermoleküle völlig unumkehrbar. Bis auf die wenigen kleinen Luken war der gesamte Rumpf der Preserver jetzt völlig nahtlos.
Es musste Kirstens Körperwärme gewesen sein, die Nessus’ Temperatursensoren hatte anschlagen lassen. Unbeaufsichtigt stand die Kolonistin jetzt auf der Brücke der Preserver und stocherte zweifellos schon wieder in den Datenbanken des Hauptcomputers herum. Datenarchäologie war etwas, bei dem es – wie Nessus bedauerlicherweise erst viel zu spät bemerkt hatte – kaum jemanden gab, der es mit Kirsten hätte aufnehmen können.
»Wo ist Kirsten?«, fragte Nessus, um darüber hinwegzutäuschen, dass er die Antwort auf diese Frage sehr wohl schon kannte. »Ich wollte gern mit ihr reden.«
»Auf der Brücke des großen Schiffs«, sagte Eric beiläufig und setzte dann ohne eine
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