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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
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als kurz vor dem Anpfiff der Regionalliga-Partie zwischen dem FC St. Pauli und Fortuna Düsseldorf der Song Allein machen sie dich ein aus den Lautsprechern ertönte und St.-Pauli-Fans ein 200 Meter langes Transparent enthüllten, mit dem sie gegen die Unterdrückung und Kriminalisierung von Fußball-Fans in deutschen Stadien demonstrierten. Ein Flugblatt, das sich im Dezember 2000 gegen die beabsichtigte Räumung des Hamburger Stadtteilzentrums »Rote Flora« wandte, endete mit dem Scherben-Zitat: »Wenn wir uns erst mal einig sind, weht glaub ich’n ganz anderer Wind«. Robert Beck begann im April 2000 sein Referat über »Zeitrhythmen in der städtischen Gesellschaft« auf einer Tagung in Lyon, die sich mit der Geschichte des blauen Montags als revolutionärem Element in der frühindustriellen Gesellschaft im Frankreich des 19. Jahrhunderts befasste, mit einem Scherben-Zitat: »Für mich heißt das Wort zum Sonntag Scheiße, und das Wort zum Montag mach mal blau.« In einem Aufruf zum Wahlboykott hieß es im September 2002: »Wir können nur wählen, welche Diebe uns bestehlen!« Und ein Sonderheft zur Bundestagswahl 2005, die zu einem Patt zwischen SPD und CDU geführt hatte, überschrieb Der Spiegel mit der Scherben-Parole »Keine Macht für niemand«.

39 (Auf ein) Happy-End
    Auf den Tag genau neun Jahre nach Rios Tod wurde in »Winnetou’s Garage«, wie die provisorisch zum Konzertsaal umgerüstete Scheune hinter dem Rio Reiser Haus genannt wird, ein neues Kapitel in der Geschichte von Ton Steine Scherben aufgeschlagen. Zwanzig Jahre, nachdem sich die Gruppe in einer mystischen Stunde in Berlin aufgelöst hatte, verkündete ihr religiöser Berater Jörg Schlotterer den aus ganz Deutschland angereisten Fans, dass sie beschlossen hätten, sich zur Scherben-Family zu bekennen und »wieder eine Band zu sein«.
    Rio war tot und Lanrue in Portugal, doch ansonsten stand so ziemlich jeder auf der Bühne, der eine wichtige Rolle in jener Band gespielt hatte, bei deren allererstem Auftritt kein Geringerer als Jimi Hendrix im Vorprogramm aufgetreten war (das erste Scherben-Konzert war zugleich sein letztes gewesen). Am Schlagzeug saß Funky und erhielt, als die einzelnen Mitglieder später am Abend namentlich vorgestellt wurden, wie gewohnt den größten Beifall. Bass spielte das Gründungsmitglied Kai Sichtermann, auf dessen Betreiben hin die Band sich reformiert hatte. Marius del Mestre, der auch Gitarre spielte, Nikel Pallat, der auch Saxophon blies, und Angie Olbrich von Carambolage, die auch den Bass zupfte, wechselten sich mit Jan Plewka als Special Guest am Mikro ab. Schlotterer spielte wie zur Zeit von Keine Macht für Niemand Querflöte, Dirk Schlömer Gitarre, Martin Paul Keyboards, und del Mestres Sohn Marlon und die Tochter von Angie Olbrich und Kai Sichtermann, Lisa Jane, komplettierten die Band als Background-Sänger.
    Es war ein fulminantes Comeback, das zeigte, wie zeitlos die von Rio Reiser (und Lanrue) komponierten Scherben-Songs sind. Den Rauch-Haus-Song spielten sie an diesem Abend nicht, und sie riefen auch nicht zur Besetzung des Rio Reiser Hauses auf, das einst ihnen gehört hatte. Ihr Auftritt war aber ein – längst überfälliger – Akt der Emanzipation von Rio und Lanrue, den Übervätern der Scherben, und eine Demonstration des Willens, sich nicht zu Statisten degradieren zu lassen, sondern künftig die Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Und es war, nebenbei gesagt, ein großartiges Konzert, das einem Schauer über den Rücken jagte und für eine Gänsehaut und feuchte Augen sorgte, als sie sangen: »Du bist nicht unter mir, du bist nicht über mir, du bist neben mir.«

    Die reformierte Scherben-Family: Nikel Pallat, Marius del Mestre, Lisa Jane Olbrich, Marco Schmedje, Angie Olbrich, Funky K. Götzner, Martin Paul Hartmann, Hansjörg Schlotterer und Kai Sichtermann (v.l.n.r.)
    Die Scherben-Family war erstmals nach Rios Tod wieder zusammengekommen, als sie im Berliner Tempodrom auftrat. In den Jahren danach hatten einige von ihnen unter dem Namen Neues Glas aus alten Scherben zirka 150 Konzerte gegeben, waren aber stets angefeindet worden und hatten sogar Morddrohungen erhalten, weil sie Leichenfledderei betrieben und angeblich »Lichtjahre von der expressiven Präsenz des nachgeahmten Stars« entfernt waren, wie ausgerechnet das Neue Deutschland moniert hatte. An Rios achtem Todestag hatten die Scherben sich dann zusammengefunden, um auf dem überdimensionierten Open-Air-Festival

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