Riskante Liebe
sich wie gewöhnlich einmischte. Dennoch war meine Hüttengenossin eine ruhige, besonnene Frau, die sich nie mit ihrem Können brüstete. Sie war mein Vorbild, meine Lehrmeisterin in vielen Dingen und ich hatte, im Gegensatz zu anderen jungen Mädchen in unserer Gemeinschaft Glück, dass sie mich bereits vor langer Zeit zu ihrer Auszubildenden auserkoren und mir vieles von ihrem Wissen über Heilkunde und Kräuter beigebracht hatte. Ich war dankbar, bei ihr leben zu dürfen.
Und so wusch ich mich trotz der frühmorgendlichen Kühle im kalten Wasser, zerrieb die Wurzeln des am Ufer blühenden Seifenkrauts auf einem Stein, schäumte mich damit ein und tauchte bibbernd unter. Ich kaute auf einem faserigen Ast herum, um mein Gebiss zu reinigen und spülte mir den Mund aus. Als ich auf Zehenspitzen wieder in die Hütte schleichen wollte, streckte mir Jolaria, die bereits unser Feuer entfacht hatte, einen Becher dampfenden Wassers mit wilder Minze darin entgegen.
»Trink das. Und iss den Getre idebrei. Ich gebe dir noch davon mit, dann hast du morgen früh etwas zu essen.«
V or der Hütte draußen entstand trotz der frühen Stunde Tumult. Ich hörte erregt klingende Stimmen und dann einen lauten verzweifelten Aufschrei. Ich schob die Tierhaut, die bei geöffneter Tür als Windschutz den Eingang bedeckte, beiseite und lugte hinaus. Tarisa, die in der Hütte uns gegenüber wohnte, wehrte sich verzweifelt. Zwei Wächterinnen hielten sie mit eisernem Griff an den Armen fest, während eine dritte mit einem greinenden, in Fell gewickelten Bündel an der Schulter aus Tarisas Hütte kam.
I ch seufzte innerlich, da mir diese Szene vertraut war und mir jedes Mal ein unangenehmes Gefühl in den Eingeweiden bescherte. Wie beinahe alle unsere Säugerinnen – so wurden diejenigen genannt, die freiwillig Kinder gebaren und im ersten Jahr nährten – wehrte sich auch Tarisa verzweifelt dagegen, das entwöhnte Kind herzugeben. Ich verstand diese Frauen nicht: Sie alle wussten doch im Voraus, worauf sie sich einließen. Sie stellten ihre Körper für unseren Nachwuchs zur Verfügung, waren hoch angesehen und erhielten viele Vergünstigungen. Während sie die Kinder austrugen und nährten, waren sie von allen schweren Arbeiten befreit und erhielten bessere und mehr Nahrung als der Rest des Dorfes.
Und ich sah an ihnen und auch den Tieren des Waldes, wie anstrengend und zeitraubend es war, den Nachwuchs zu füttern und aufzuziehen. Eigentlich, so fand ich, sollten sie doch froh sein, wenn ihnen die Verantwortung für die Kleinen nach so langer Zeit abgenommen wurde. Wie alle Säugerinnen vor ihr musste sich auch Tarisa damit abfinden, dass die Wächterinnen das Kind ins Kinderhaus brachten und sie es ab sofort nur noch aus der Ferne zu sehen bekommen würde. Gefühlsmäßige Bindungen zwischen den Dorfbewohnern, nicht nur zwischen den Frauen und Relianten, auch untereinander oder zu den Kindern, waren von Seratta streng verboten worden, da sie uns bei der Arbeit behindern würden und uns davon abhielten, vernunftbetonte, lebenswichtige Entscheidungen zu treffen. So lautete die offizielle Begründung für diese Regel.
Aber tief in mir drin war ich der Meinung, dass Seratta, die ohnehin niemand leiden konnte, weil alle Angst vor ihr hatten, den anderen ebenfalls keine Verbündeten gönnte. Damit keiner in Versuchung geriet, sein Herz an einen anderen Menschen zu hängen, musste jeder jeden überwachen, ob die aufgestellten Gesetze auch eingehalten wurden. Seratta hatte als Anreiz dafür, Verfehlungen umgehend zu melden, ein ausgeklügeltes Belohnungssystem eingeführt: Die Bewahrerinnen, so nannte man die, die auf Einhaltung der Regeln achteten und jede Zuwiderhandlung sofort an Seratta weitergaben, erhielten begehrte Vergünstigungen wie größere Nahrungsportionen oder Wasserrationen, Arbeitserleichterungen und komfortablere Behausungen. Je mehr Verfehlungen sie meldeten, umso besser ging es ihnen. Aus dieser Gruppe heraus rekrutierte Seratta auch die Wächterinnen.
Als sich nun eine von diesen mit dem immer noch laut schreienden Kind auf dem Arm eilig entfernte und um eine Ecke verschwunden war, wurde Tarisa von ihren Bewacherinnen losgelassen und warf sich verzweifelt auf den staubigen Boden. Keine von uns anderen beachtete sie. Sie würde sich irgendwann beruhigen und ihr Leben so weiterführen wie früher, vor dem Kind ... Aber vermutlich würde auch sie, wie der überwiegende Teil aller Säugerinnen, sich nicht noch einmal als
Weitere Kostenlose Bücher