Riskante Liebe
Gefühl, Seratta weiß nicht, was sie sagt. Vielleicht hat der alte Reliant die Wahrheit gesprochen und Gordea hat freiwillig Kontakt zu dem Toten aufgenommen. Sie war eine der Wächterinnen.« Ich nickte Jolaria eifrig zu. »Es muss so gewesen sein, wie sonst hätte er ihr so nahe kommen können, dass er ihr ein Kind machen konnte?«
Jolaria hatte mir, als die Schwangerschaft von Gordea sichtbar wurde und damit ihr Zusammensein mit einem der Relianten bekannt geworden war, erklärt, dass Frauen nicht nur durch die bei uns übliche Praxis der manuellen Befruchtung Kinder bekamen. Fasziniert hatte ich ihr zugehört, als sie mir in der Abgeschiedenheit unserer Hütte erklärte, wie es in früheren Zeiten – vor der Entstehung unserer Siedlung und lange bevor Seratta die Macht an sich riss – üblich gewesen war: Dass Männer und Frauen gleichberechtigt nebeneinander lebten, und, wenn sie Zuneigung füreinander empfanden, sich wie Tiere paarten, Kinder zeugten und diese gemeinsam großzogen. Mir, die ich nie etwas anderes als den jetzigen Zustand erlebt hatte, kam dieses Verhalten seltsam vor. Ich kannte es lediglich aus dem Wald von den Säugetieren, die ich bei meinen Streifzügen beobachtete. Und auch da waren die männlichen Tiere nur bei der hastigen Paarung anwesend. Die Jungtiere wurden in der Regel von den Weibchen versorgt, bis sie selbstständig waren.
Bei uns waren Männer Wesen untergeordneter Klasse, die unter strenger Bewachung standen und von den Wächterinnen mit Waffengewalt zu harter Arbeit gezwungen wurden. Die jungen und starken Relianten mussten regelmäßig ihren Samen abgeben und Jolaria befruchtete damit die Frauen, die willens waren, die für unser Dorf notwendigen Nachkommen auszutragen. Nicht immer wurden die Freiwilligen schwanger, doch der entstandene Nachwuchs genügte, um den Fortbestand unserer Gruppe zu sichern. Wenn die Kinder entwöhnt waren, meist nach Ablauf eines Jahres, wurden sie in das Kinderhaus gebracht und dort – nach Geschlechtern getrennt – von den Aufseherinnen erzogen. Etwa im zwölften Sommer nach ihrer Geburt wurden die Mädchen je nach Fähigkeiten zu nützlichen Tätigkeiten in der Dorfgemeinschaft herangezogen, während die Jungen zusammen mit den männlichen Erwachsenen all die harten Arbeiten, wie Latrinen graben, Bäume fällen oder Wasser vom Fluss heranschaffen, verrichten mussten und nachts in das Gatter gesperrt wurden. Außer den Wächterinnen, die ihnen Essen brachten, sie beaufsichtigten und dafür sorgten, dass keiner von ihnen einen Fluchtversuch wagte, durfte niemand von uns mit den männlichen Wesen Kontakt haben. Von klein auf wurde uns Mädchen gelehrt, dass ein Mann untergeordnet, schmutzig, dumm und gefährlich war und nur für harte körperliche Tätigkeiten taugte. Deshalb konnte ich weder Gordeas Gefühle für den Toten, noch die harsche Reaktion Serattas auf die Worte des Alten verstehen.
Hastig legte die ältere Frau, mit der ich mir die Hütte teilte, einen Finger an ihre Lippen und flüsterte:
»Kein Wort mehr, Veeria. Du redest dich um Kopf und Kragen! Niemand darf Seratta widersprechen oder ihre Weisungen und Äußerungen anzweifeln!«
Sie packte mit eisenhartem Griff mein Handgelenk und zog mich mit sich.
»Komm mit, wir müssen uns um das Essen für heute Abend kümmern.«
ZWEI
Fünf Sommer später …
Wie immer, wenn ich jagen ging, stand ich sehr früh auf. Leise, um Jolaria, die einen sehr leichten Schlaf hatte, nicht aufzuwecken, schlich ich mich aus der Hütte, um meine Blase zu leeren und mich am nahen Fluss zu waschen. Den Körper und auch die Zähne sauber zu halten, so hatte mir Jolaria beigebracht, war sehr wichtig, um bis ins hohe Alter gesund zu bleiben. Sie selbst war der beste Beweis für diese Aussage. Obwohl sie bereits über fünfzig Sommer lebte und zu den Älteren gehörte, war sie eine der kräftigsten und robustesten Frauen in unserem Dorf. Sie besaß, im Gegensatz zu vielen anderen, noch all ihre Zähne, ihre Haut war glatt und sie hatte einen geschmeidigen Gang. Von hinten gesehen wirkte sie wie eine wesentlich jüngere Frau.
Als Heilerin in unserem Dorf hoch angesehen, besaß sie eine Sonderstellung. Sogar Seratta begegnete ihr mit Respekt und ließ ihr viele Freiheiten, die sie uns anderen nicht vergönnte. Jolaria durfte jederzeit kommen und gehen, wann sie wollte und entschied aufgrund ihres umfangreichen Wissens ganz allein darüber, wie sie Kranke behandelte, ohne dass unsere Anführerin
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