Riskante Nächte
mich nicht zwingen, in Ihre Kutsche einzusteigen.«
»Mir fiele nicht im Traum ein, Gewalt anzuwenden. Nicht, wenn vernünftige Argumente das gleiche Ziel erreichen können.«
»Und welche vernünftigen Argumente sollen das sein?«
»Warum beginnen wir nicht mit der Feststellung, dass Sie und ich anscheinend ein gemeinsames Interesse an den persönlichen Angelegenheiten unseres Gastgebers haben?«
Er sah, wie ihr der Atem stockte. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Das war Hastings’ Schlafzimmer, aus dem Sie da vor wenigen Minuten gekommen sind.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, entgegnete sie. »Sie raten doch nur.«
»Ich rate nur selten, Mrs. Bryce, und keinesfalls, wenn ich Fakten an der Hand habe. Ich weiß, dass es Hastings’ Schlafzimmer ist, weil ich mir gestern einen Grundriss des Hauses besorgt habe.«
»Du meine Güte, Sir.« Schlagartig verstand sie, und unendliche Erleichterung ließ ihre Augen strahlen. »Sind Sie ein Einbrecher?«
Eine feine, wohlerzogene Lady wäre entsetzt gewesen, ging es ihm durch den Sinn. Aber Louisa schien nicht im Geringsten beunruhigt, sich in der Gesellschaft eines Vertreters der Verbrecherzunft zu befinden. Im Gegenteil, sie war eindeutig fasziniert. Begeistert sogar. Er hatte recht gehabt: Sie war eine wirklich außergewöhnliche Frau.
»Sie können kaum von mir erwarten, Ihren Verdacht zu bestätigen«, erwiderte er. »Als Nächstes rufen Sie sonst noch die Polizei und lassen mich festnehmen.«
Zu seiner Verblüffung lachte sie. Der glockenhelle Laut bezauberte ihn.
»Ganz und gar nicht, Sir«, versicherte sie ihm und wedelte anmutig mit ihrem Fächer. »Mich kümmert es nicht, wenn Sie Ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Leute wie Elwin Hastings zu bestehlen. Ich muss allerdings gestehen, dass diese Offenbarung einiges erklärt.«
Er hatte den Eindruck, dass ihre Unterhaltung eine recht bizarre Richtung nahm.
»Wie meinen Sie das?«, fragte er.
»Ich gebe zu, dass Sie seit unserer ersten Begegnung meine Neugier geweckt haben, Sir.«
»Sollte ich mich jetzt geschmeichelt fühlen oder beunruhigt sein?«
Sie beantwortete seine Frage nicht. Stattdessen lächelte sie und wirkte so selbstzufrieden wie eine kleine Katze, die sich auf einem warmen Ofen zusammengerollt hatte.
»Ich fand auf den ersten Blick, dass Sie etwas Geheimnisvolles an sich haben«, sagte sie.
»Und was veranlasste sie zu dieser Annahme?«
»Nun, weil Sie sich mir haben vorstellen lassen und tatsächlich mit mir getanzt haben, selbstverständlich.« Sie ließ ihren Fächer auf- und zuschnappen zum Zeichen, dass ihr Argument unwiderlegbar sei.
»Was ist daran so besonders?«
»Gentlemen zeigen niemals Interesse, meine Bekanntschaft zu machen, ganz zu schweigen davon, mich auf die Tanzfläche zu führen. Als Sie beim Empfang der Wellworths abermals mit mir getanzt haben, war mir sofort bewusst, dass Sie etwas im Schilde führen.«
»Verstehe.«
»Ich hatte natürlich angenommen, dass Sie mich als Tarnung benutzten, um Ihr Interesse an einer anderen Lady zu verschleiern.« Sie machte eine taktvolle Pause. »Einer verheirateten Frau, möglicherweise.«
»Sie haben in den vergangenen Tagen offenkundig viel über mich nachgedacht.«
Ebenso viel, wie er über sie nachgedacht hatte, stellte er fest und fand das sehr befriedigend.
»Sie waren mir ein Rätsel«, erklärte sie schlicht. »Und selbstverständlich war es mir ein Bedürfnis, eine Antwort zu finden. Es wäre mir allerdings nie in den Sinn gekommen, dass Sie ein Dieb sind. Ich muss gestehen, dies ist eine wahrlich glückliche Fügung.«
Sie erreichten das Vestibül, bevor Anthony eine passende Antwort auf diese Bemerkung einfiel. Ein Diener in einer altmodischen Livree in Blau und Silber und mit einer gepuderten Perücke auf dem Kopf eilte heran.
»Mrs. Bryces Mantel bitte«, wies Anthony ihn an. »Dann rufen Sie bitte meine Kutsche, und anschließend teilen Sie Lady Ashton mit, dass die Lady mit mir fortgegangen ist.«
»Ja, Sir.« Der Diener eilte davon.
Louisa erhob keinen Widerspruch. Anthony hatte den Eindruck, dass sie inzwischen ebenso darauf erpicht war, das Haus zu verlassen, wie er. Anscheinend ängstigte sie die Vorstellung, mit einem Dieb in die Nacht fortzueilen, nicht sonderlich. Er war nicht sicher, wie er das verstehen sollte.
Der Diener kehrte mit einem Mantel in stumpfem Rotbraun zurück, der zu dem faden rotbraunen Kleid passte. Anthony nahm ihm den Mantel ab und legte ihn Louisa um
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