Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Dienstag:
Sturmwarnung
D er Himmel hängt tief, er sieht aus, als müsse er sich sofort hinlegen. Von der Elbe steigt Nebel auf, zäh und gemein wie eine alte Krähe. Ich schlage meinen Mantelkragen hoch, aber es hilft nichts: Die Feuchtigkeit kriecht mir in die Knochen. Mein Kopf tut weh, ich habe zu wenig geschlafen. Es ist Anfang März, es ist erst halb acht, und zu meinen Füßen liegt ein totes Mädchen. Zwei philippinische Matrosen auf Landgang haben sie gefunden. Die armen Kerle. Die Leiche wird ihnen einen ordentlichen Schrecken eingejagt haben. Sie liegt auf einer Treppe, die direkt ins Wasser führt. Sie ist nackt, über ihren Hals zieht sich ein ernstzunehmendes Würgemal. Ihre Brüste sind nicht die elegantesten, die man für Geld kriegen kann, aber sie sind ziemlich beeindruckend. Ich frage mich, warum sie so schön da hingelegt wurde und nicht mit dem Gesicht nach unten in der Elbe schwimmt, so wie alle anderen Toten auch. Sie trägt eine billige hellblaue Kurzhaarperücke.
Ich könnte gut eine Tasse Kaffee vertragen.
Die Spurensicherung ist in vollem Gange. Ich finde diese Typen ja ein bisschen schwierig. Wuseln zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Details des Bösen, wach wie nur was. Es ist mir ein Rätsel, wie man sich angesichts einer toten Frau mit Banalitäten wie Haaren, Wollfasern und Zigarettenkippen beschäftigen kann, ohne auf der Stelle verrückt zu werden. Die scheinen lebende Labors zu sein, mit Reagenzgläsern, wo andere ein Herz haben. Heute ist wohl ein Festtag für sie. Sie machen sich in einer Riesengruppe wichtig, sie haben alles absperren lassen, man darf natürlich nirgendwo hintreten, ich habe mir auch schon wieder einen ordentlichen Rüffel abgeholt, weil ich hier rumlatsche, aber das ist mir egal, ich muss die Toten sehen, wenn ich mich um sie kümmern soll.
Klick. Jetzt wird fotografiert. Sie fotografieren immer wie die Bekloppten, und überall stehen aufgeregte Schilder rum wie Zeigefinger, als wäre da was total Entscheidendes. Ich kann nichts erkennen. Nur nasses Kopfsteinpflaster.
Einer von den Jungs, ein hagerer Typ mit Vogelnase, fängt an, sich mit dem Hals der Toten zu beschäftigen.
»Wo bleibt die Kripo?«, fragt er.
»Die sind unterwegs«, sage ich.
»Wer hat Mordbereitschaft?«
»Hauptkommissar Faller«, sage ich.
Er verdreht die Augen. »Die alte Schnarchnase.«
»Hey, Schätzchen«, sage ich, »bisschen vorsichtig. Und bis der Faller da ist, bin ich die Kripo, klar?«
»Geht klar, Frau Staatsanwältin.« Das war verächtlich. Arschloch.
Ich finde, dass der Faller sehr in Ordnung ist. Manchmal vielleicht ein bisschen müde, aber ein grundehrlicher Haudegen. Immer da. Wenn ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist, erinnert er mich an Robert Mitchum. Um ihn aufzuheitern, sage ich dann: »Meine Fresse, Faller, sind Sie ein cooler Hund. Wäre ich zwanzig Jahre älter, ich würde Sie vom Fleck weg heiraten.« Seine übliche Reaktion darauf ist, auf den Boden zu schauen, sich eine Roth-Händle anzuzünden und zu sagen: »Ich weiß, Kleines, ich weiß.« Ich mag den Faller wirklich.
»Wie ist sie gestorben?«, frage ich den Spurenmann und versuche, am Himmel einzelne Wolken auszumachen. Es gelingt mir nicht. Heute gibt’s da oben nur Suppe.
»Stranguliert«, sagt er, »wahrscheinlich mit Kunststoff, einem Kabel oder so was.«
»Wann?«
»Kann ich noch nicht genau sagen. Vermutlich nach Mitternacht. Genaueres wird dann der Onkel Doktor wissen.«
»Okay«, sage ich. »Sonst noch was?«
»Oh ja«, sagt er und hebt die Perücke ein kleines Stück an.
Unter der Perücke sind weder Haare noch Haut. Da ist nur verkrustete, blutige Masse. Mir wird auf der Stelle schwindelig. Ich hätte gern jemanden, an dem ich mich eben mal festhalten könnte, aber da ist ja nur die Spurensicherung.
»Sie wurde …?«
»Genau«, sagt er, und ich glaube, er grinst, »die Lady wurde skalpiert. Ich wusste gar nicht, dass wir hier im Wilden Westen sind.«
Um Himmels willen. Was ist das denn für eine Scheiße? Es gibt Dinge in meinem Job, mit denen ich nicht so gut klarkomme, und verstümmelte Frauen mitten in meinem Viertel gehören definitiv dazu. Ich fasse mir in den Nacken und überprüfe meinen Haaransatz. Alles dran. Ich schüttele mich kurz und unauffällig und ziehe meinen Mantel fest um meine Taille. Wir haben also einen völlig kranken Typen am Start, der diese Frau nicht nur töten, sondern auch noch extrafein kaputtmachen wollte.
Na toll.
»Hören Sie«,
Weitere Kostenlose Bücher