Risotto Mit Otto
mia «, erwiderte mein Vater mit der für ihn typischen Gelassenheit, die so gar nicht meinem Temperament entsprach und mich erst recht in Rage brachte. »Geflucht wird in meinem Wagen nicht. Ich tu schon, was ich kann.« Er fuhr sich mehrmals durch die dichten grauen Haare und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr.
»Wir kommen sicher noch rechtzeitig am Bahnhof an«, versuchte meine Mutter mich zu beruhigen. Sie hatte sich zu uns drei Mädchen, die wir auf der Rückbank zwischen meinen riesigen Koffern eingequetscht saßen, umgedreht und lächelte mich aufmunternd an.
Meine beiden Schwestern schlummerten selig aneinandergekuschelt und bekamen von dem ganzen Drama nichts mit, während mein Puls mit der Stärke eines Presslufthammers pochte und ich, um ihn zu beruhigen, an den Fingernägeln kaute.
»Von wegen!«, rief ich aufgebracht. »Bis um elf schaffen wir es nie bis zur stazione centrale, wenn das hier so weitergeht. Ich hab euch gleich gesagt, wir nehmen besser die Autobahn. Aber nein, der da vorne …«
»Red nicht so von deinem Vater!«, ermahnte mich mamma, und ich merkte genau: Wenn ich jetzt nicht langsam einen Gang zurückschaltete, drohte ein Temperamentsausbruch, der sich gewaschen hatte. Als sie sich mit Schwung zu mir umdrehte, geriet ihr kinnlanger, akkurat geföhnter Pagenkopf gefährlich durcheinander, und ihre pechschwarzen Augen bekamen einen bedrohlichen Schimmer. »Wir tun doch schon alles für dich. Sei froh, dass wir dich überhaupt fahren. Mit all dem Gepäck hättest du nie alleine in den Nachtzug umsteigen können.«
»Meiner Angelina bella trage ich die Koffer bis ans Ende der Welt«, ließ sich mein Vater vernehmen, nicht ohne eine kleine Nuance Spott in der Stimme.
Ich ließ mich davon nicht beirren, sondern lief ungeachtet meiner vor der Explosion stehenden Mutter zur Höchstform auf. »Alles nur, weil wir unbedingt noch bei zia Marisa vorbeifahren mussten. Von der hätte ich mich auch am Telefon verabschieden können. Die zwanzig Euro, die sie mir zugesteckt hat, hätte sie getrost behalten können. Davon kann ich mir in München sicher nicht mal ’ne Pizza leisten. Das ist die teuerste Stadt Deutschlands, in die ich da fahre. Was glaubt die eigentlich …«
»Deine Tante hat es nur gut gemeint. Du weißt genau, wie krank sie ist. Vielleicht siehst du sie nie wieder.« Meine Mutter passte sich beim Gedanken an das drohende Ableben ihrer ältesten Schwester meiner schrillen Tonlage an, und die roten Flecken auf ihren Wangen kündeten zuverlässig von ihrer prekären Gemütslage.
»Basta adesso« , schimpfte mein Vater unvermittelt los, ganz entgegen seinem sanften Charakter.
Ich hob erstaunt die Augenbrauen. Sollte meine Abreise diesen Stoiker par excellence etwa zu einer emotionalen Reaktion hingerissen haben?
»Ich drehe gleich um, wenn ihr so weitermacht, und dann bleibst du hier. Das ist sowieso eine totale Schnapsidee, in dieses München zu gehen, wo wir keinen Menschen kennen. Ich war von Anfang an dagegen, aber mich fragt ja nie einer.« Mit beiden Händen umklammerte er das Lenkrad, während er vor sich hin wetterte.
» Accidenti, Aldo!«, rief meine Mutter. »Pass doch auf, jetzt wärst du beinahe auf den Vordermann aufgefahren!«
Mein Vater trat hart auf die Bremse, und Laura hob für einen Moment verschlafen den Kopf, nur um gleich wieder wegzunicken.
Der Vorwurf meines Vaters traf mich ebenso hart, immerhin hatte ich – zwar widerwillig, aber was soll’s – die strengen Auflagen meiner Eltern akzeptiert, unter denen sie mir das Auslandsjahr in der »bayerischen Landeshauptstadt«, wie es auf der offiziellen Homepage so schön hieß, zähneknirschend gestatteten. Abgesehen davon fand ich, dass ich mit meinen vierundzwanzig Jahren allmählich alt genug war, um mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Mein Vater war da jedoch anderer Meinung. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er meinen Cousin Pietro als Aufpasser von Berlin nach München beordert, damit mir ja niemand etwas Böses tat. Als ob ich nicht langsam mal alleine auf mich aufpassen könnte.
Unsere wahrlich große, weitverzweigte Familie war in alle Welt verstreut, und wir hatten sogar Verwandte in Kalifornien, nur in München kannten wir tatsächlich keine Menschenseele. Das bereitete meinem babbo große Sorgen, da er seine »bella bimba« , wie er mich immer noch nannte, als wäre ich das süße zwölfjähre Mädchen von damals, nicht in die Fänge der kartoffelstampfenden Barbaren
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