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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Geistheilung oder gar der Christlichen Wissenschaft aufweisen?«
    »So ist es.« Katherine richtete sich auf, suchte Kempfs Blick, sah den Richter kurz an, wie um sich zu vergewissern, ob er auch zuhörte, dann wandte sie sich wieder an Newt, der sie belauerte wie der Fänger im Baseballstadion von Fenway Park hinter dem Schlagmal, und sie war die Werferin, gespannt wie eine Sprungfeder und bereit zum Zuschlagen. »Ich sagte ihm, das sei vollkommener Unsinn, unwissenschaftlich und ineffektiv, und es gebe inzwischen natürliche Methoden zur Behandlung körperlicher Leiden wie jenen meines Mannes – Schilddrüsenextrakte zum Beispiel. Daraufhin hielt er mir einen langen Vortrag über seine neuste Theorie, die er in einer Monographie mit dem Titel Das autonome System oder so ähnlich festgehalten hat. Er betrachtet sich als Kapazität auf diesem Gebiet und erläuterte mir, diese Theorie setze sich gerade erst durch, werde aber die Bedeutung der Psychoanalyse in hohem Maße beeinflussen. Aber auch noch soviel Reden, ob es nun therapeutisch oder einfach nur abträglich und entfremdend ist, wird kein rein körperliches Leiden kurieren.«
    »Dennoch fuhr Dr. Kempf fort, diese ›Theorie‹ auf Ihren Mann anzuwenden, trotz der Tatsache, daß namhafte Mediziner wie Dr. R. G. Hoskins von der Harvard University Ihren Gatten als ›unzweifelhaft an Endokrinopathie leidend‹ bezeichnet hatten – so lautet der Fachterminus wohl?«
    »Ja.«
    Newt nahm sich die Zeit, auf der erhöhten Plattform vor dem Zeugenstand von einem Ende zum anderen zu schreiten. Dies war sein Augenblick, und er schien im Verhältnis zu dessen Bedeutung zu wachsen. »Und zu diesem Zeitpunkt geschah es, daß Dr. Kempf, der gegen Ihre Einwände von den anderen beiden Vormündern Ihres Gatten – Cyrus und Anita McCormick – für das astronomische Honorar von zehntausend Dollar pro Monat engagiert worden war, sich gegen Sie wandte und Sie völlig aus dem Haus Ihres Mannes verbannte?«
    Mr. Lawler meldete Einspruch an. Richter Dehy, der entweder eingeschlafen oder vorübergehend scheintot gewesen war, rutschte ein wenig auf seinem Stuhl herum, ehe er murmelte: »Nicht stattgegeben.«
    Katherine wandte das Gesicht dem Richter zu, in ihrem Blick lag der ganze Schmerz über dieses Verbrechen, die Schlechtigkeit, das Unrecht. Sie fühlte ihre Stimme beben. »Ja«, sagte sie, »ja. So war es. Genau so war es.«
    Dann kam Lawler an die Reihe, und es gelang ihm nicht einmal, sie zusammenzucken zu lassen, obwohl für einen Mann wie ihn keine Beschuldigung zu skandalös oder unverantwortlich war, keine Narbe zu frisch, um nicht darin zu bohren, und er bedrängte sie mit jeder Waffe aus seinem Söldnerarsenal. Er zog ihre Befähigung als Vormund in Zweifel, ihre wissenschaftliche Kompetenz, zerrte ihre Sympathie für »radikale« Bewegungen, ihre Freundschaft mit Mrs. Roessing in den Schmutz, aber nichts, gar nichts konnte sie erschüttern. Es hieß immer nur »Ja, Mr. Lawler« und »Nein, Mr. Lawler«, den ganzen Nachmittag und den nächsten Morgen hindurch.
    – Und traf es nicht zu, daß sich der Zustand ihres Mannes dramatisch gebessert habe und daß dafür Dr. Kempf verantwortlich sei?
    – Nein, beharrte sie, dem sei nicht so. Ihr Mann sei lediglich mit dem Alter ein wenig ausgeglichener geworden.
    – Aber sie habe doch sein Geld gewollt, oder etwa nicht, und zwar um es für ihre radikalen Anliegen auszugeben, und für Mrs. Margaret Sangers gottlose Bewegung zur Verhinderung der natürlichen Empfängnis?
    – Nein, Geld habe sie keines gewollt. Ihr sei es darum gegangen, über die Pflege ihres Mannes zu bestimmen, weil die McCormicks darin kläglich versagt hätten. Sie liebe ihren Mann. Und sie wolle, daß er wieder gesund werde.
    Und dann, um elf Uhr vormittags, während Juan Rodríguez Cabrillo und seine Indianer samt dem schweifwedelnden Hund im warmen Licht des Tages erstrahlten, der draußen vor den Fenstern vorbeizog, legte Oscar Lawler die Arme auf das Geländer des Zeugenstandes und ließ den Blick seiner verhaßten, leberfarbenen Augen auf ihr ruhen. Er hatte Schuppen auf den Schultern seines braunen Anzugs, Schuppen auf den Augenbrauen, seine Nägel waren bis aufs Fleisch abgenagt. Er war ihr so nahe, daß sie ihn beinahe riechen konnte. »Dann glauben Sie also«, fragte er mit hörbar ironischem Unterton, »im Gegensatz zu Ihrem eigenen Rechtsanwalt und seiner Kohorte von ›Experten‹, daß Ihr Gatte nicht hoffnungslos verrückt ist? Trifft das

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