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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Mayhew
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PROLOG

Abessinien, 1820
    Sebastian Mortlock spürte, wie etwas Krabbelndes sich zwischen seine Zehen drängte. Er blickte hinunter. Der Boden unter seinen löchrigen Stiefeln wimmelte von Würmern, Tausendfüßlern, Kakerlaken und Ameisen. Eines der Insekten kroch gerade seinen Fußrücken hinauf. Er schüttelte das Tier ab und sah seine beiden Gefährten mit einer Grimasse an.
    Thurlough Corvis grinste und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das ist ein gutes Zeichen«, versicherte er Sebastian. »Dieser Dschungel pulsiert vor Leben. Da schaffen es sicher auch drei Engländer.«
    »Ein Zeichen ist es. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es gut ist«, sagte Edwin Chrimes und fegte mit angewiderter Miene einen Käfer von seinem Bein. »An diesem gottverlassenen Ort sollte überhaupt kein Dschungel sein.«
    Der Dschungel, eine Oase mitten im Nichts, war der Grund, weshalb sie sich überhaupt in dieser öden Salzwüste befanden. Er hatte sie vor den erhobenen Waffen feindlich gesinnter Stammesangehöriger gerettet und vor den drohenden Blicken misstrauischer Kriegsherren; gefährliche Männer, die unablässig um dieses Höllenloch kämpften.
    Die Engländer waren noch am Leben, wenn auch eigentümlich gekleidet. Alle drei hatten schon vor langer Zeit ihredunklen Reiseanzüge gegen die hellere, leichtere Stammeskleidung dieser Gegend getauscht. Die weißen Baumwollgewänder, die bis zu den Stiefeln reichten, waren mittlerweile voller Flecke. Um den Kopf trugen sie Turbane und einen Schal, der nur die Augen frei ließ.
    Während ihrer Reise waren sie gute Freunde geworden. Corvis hatte Mortlock überrascht. Obwohl er ein schmaler, blasser Lebemann war, der den Spieltisch und den Portwein liebte, hatte er angesichts der zahlreichen Mühen und Widrigkeiten Stärke bewiesen – im Gegensatz zu Chrimes. Mit seinem roten Haar und den Sommersprossen litt er unter der sengenden Sonne. Seine Haut war so verbrannt, dass sie Blasen warf, und er beschwerte sich unaufhörlich.
    »Was nun, Sebastian?« Corvis hob fragend die Augenbraue. Die tiefen Schatten des Urwalds betonten seine scharfen Gesichtszüge. »Ruhen wir uns aus, oder gehen wir weiter?«
    »Ausruhen?« Mortlock streckte seinen muskulösen Körper, der um einiges größer war als der seiner Freunde. »Wir stehen kurz vor der größten Entdeckung aller Zeiten, und du willst dich ausruhen?«
    »Du bist der Chef. Ich dachte nur, du wärst vielleicht müde«, erwiderte Corvis und hob die Hände. »Schließlich bist du nicht mehr der Jüngste …«
    »Ich bin sechsundzwanzig, Corvis«, protestierte Mortlock halb entgeistert, halb amüsiert. »Nur ein Jahr älter als ihr beide!«
    »Nun, immerhin«, ließ Chrimes sich vernehmen.
    Mortlock warf beiden einen finsteren Blick zu, dann drehte er sich um und setzte sich wieder in Bewegung.
    »Wenn ihr so jung und kräftig seid, dürfte es euch ja nicht schwerfallen, mir zu folgen!«, rief er über die Schulter undverschwand in den Schatten. Er hörte, wie Corvis und Chrimes einen Schrei ausstießen und unter lautem Laubgeraschel hinter ihm her stürzten.
    Mortlock grinste und warf einen kurzen Blick nach hinten, um den Abstand zwischen ihm und seinen Verfolgern einzuschätzen. Er sprang über umgestürzte Baumstämme und wich Dornenbüschen aus. Doch der Dschungel war ein einziges Dickicht. Ranken zerrten an seiner Kleidung, und sein Lachen verwandelte sich bald in angestrengtes Keuchen. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Mühsam kämpfte er sich durch das Pflanzengewirr, das ihm den Weg versperrte. Es wurde dunkler. Er konnte die beiden hinter ihm noch hören, wie sie fluchend um sich schlugen, aber ihre Stimmen waren jetzt leiser. Vor ihm schimmerte ein rötliches Glühen zwischen den Blättern hindurch, das ihn anlockte wie eine Motte das Licht. Während er sich weiter vorwärtskämpfte, stolperte er über einen vermoderten Baumstamm, und ein stechender Schmerz schoss ihm das Bein hinauf. Mortlock rang nach Luft, und Panik stieg in ihm auf. Er hatte das Gefühl, in einem Meer aus Grün zu ertrinken. Mit einem wütenden Fluch grub er die Füße in die weiche Erde und stürzte sich erneut in den Kampf. Plötzlich gab die Blätterwand nach, und er stolperte auf eine Lichtung.
    Stille.
    Bäume schmiegten sich um den kleinen offenen Raum, als wollten sie die zierliche Blume schützen, die in ihrer Mitte wuchs. Sie war etwa dreißig Zentimeter groß, mit leuchtend roten Blütenblättern, die sich tulpengleich nach oben wölbten,

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