Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
darstellt. Die von mir entwickelte ars magna erlaubt uns das. Dies sage ich übrigens auch offen den Dominikanern, wenn sie mich – wie sie es ab und an tun – zu ihren Generalkapiteln einladen. Die ars magna erlaubt es uns also, aus sinnvollen Begriffen auf formalem Wege neue sinnvolle Begriffe zu entwickeln, um so zu besseren Einsichten zu gelangen. Denn eines steht fest: Durch Glauben und Einsicht kann Gott mehr gelobt werden, als durch Glauben allein. Nur wer verblendet ist und auf den Gebrauch der Vernunft überhaupt verzichtet, bleibt wohl davon unbeeindruckt. Das allerdings scheint mir bei Nikolaus von Abbéville der Fall zu sein. Er hat offenbar nichts von Thomas von Aquin gelernt.“
„Vielleicht kommt dem großen Inquisitor von Carcassonne ebenfalls alles wie Stroh vor, so wie es Thomas von Aquin ergangen ist, bevor man ihn ermordet hat! Das könnte sein ignorantes Verhalten erklären“, rief einer mit hämischem Tonfall aus den hinteren Reihen, worauf andere sich umdrehten und murrten.
„Das mit der Ermordung Aquins ist nur ein Gerücht, Bruder!“ warf Lullus beschwichtigend ein. „Thomas war ausgebrannt von seinen vielen Verpflichtungen, mit seiner physischen und seelischen Kraft am Ende, deshalb seine Resignation. Sein Lebenslicht ist vorzeitig erloschen, wie das bei vielen großen Geistern der Fall ist.“
„Ich gebe zu, Thomas von Aquin war für alle Christenmenschen ein Vorbild an Geduld, Sanftmut und Demut – Ihr aber, Bruder Raimundus, Ihr seid zu sehr Rationalist ... Ihr ...“
Nun aber standen viele auf, um ihren Unwillen gegenüber dem Sprecher lautstark kundzutun. Lullus zeigte sich unbeeindruckt. Als wieder Ruhe eingekehrt war, sagte er – und man konnte ihm ansehen, wie sehr er von seiner Idee überzeugt war -:
„Brüder, hört auf meinen Rat. Ich habe die Kirchenväter gründlich studiert, ich habe mich mit den Philosophen der Muselmanen auseinandergesetzt und mit den Vorstellungen der Katharer. Nur mit der rechten, der ´richtigen` Vernunft, können wir den Menschen Gott verständlich machen. Führt also ausgiebige Religionsgespräche mit den Ketzern, disputiert mit ihnen, geht der Sache auf den Grund, und erbringt am Ende den zwingenden Beweis, dass sie sich im Irrtum befinden.“
„Und was ist mit Nikolaus von Abbéville?“ Délicieux war noch einmal aufgestanden.
Lullus strich sich den Bart, schmunzelte und antwortete dann beinahe salomonisch:
„Bruder Bernhard, Abbéville hat sicher in einem Punkt recht: Ganz gewiss herrschen bei Euch in Carcassonne Eifersüchteleien. Es wird wohl so sein wie bei Hofe, wo der Beichtvater des Königs Dominikaner ist, der der Königin Johanna unser Bruder Durand, ein Franziskaner. Diese beiden geraten sich regelmäßig in die Haare.“
Die Versammlung lachte.
Dann wurde Lullus wieder ernst.
„Der üble Handstreich Abbévilles gegen die Leute aus Albi jedoch, von dem Ihr berichtet habt, Bernhard, muss ernster bewertet werden, und vor allem die dreiste Verleumdung des Castel Fabri. Der Inquisitor Eurer Stadt scheint in der Tat anmaßend und maßlos zugleich zu sein. Da es sich offenbar um einen der widerlichsten Fälle von Geldgier handelt, von dem man bislang gehört hat, beantrage ich, dass das Generalkapitel am heutigen Tag offiziell unseren Bruder Bernhard Délicieux beauftragt, die Verteidigung des verstorbenen Castel Fabri zu übernehmen.“
Bernhard Délicieux bereitete noch am gleichen Tag im Namen des Franziskaner-Ordens von Okzitanien eine Erklärung vor, dergestalt, dass es allgemeiner Glaube sei, dass die Berichte der Inquisition kein Vertrauen verdienten.
Die Aude glänzte in der Sonne, der rote Klatschmohn leuchtete zu ihr herüber, und die Rispengräser neigten sich im Wind. Welch ein heller, heiterer Sommertag! Rixende stand unbeweglich an der Reling, um das rechte Ufer im Auge zu behalten. Seit zwei Tagen schon ritt jeweils für mehrere Stunden der schwarze Mönch hinter den Treidelpferden her, ganz der Geschwindigkeit des Schiffes angepasst. Legte die „Jeanne“ aber in der Abenddämmerung am Ufer an, war er spurlos verschwunden.
Rixende schloss für eine Weile die Augen und ließ sich zurückfallen in die Vergangenheit.
Das Leben in Gavarnie, in der Fremde, war zu Beginn nicht einfach gewesen. Als sie ihre Stiefschwester Gesine kennenlernte, die im gleichen Alter wie sie war, weigerte sie sich, ihre Freundin zu werden. Warum auch, wenn doch der Vater sie bald wieder abholte. So lag das Mädchen Nacht für
Weitere Kostenlose Bücher