Robert Enke
Alltagstat gewesen. Aber es ließ sich nicht übersehen, wie gedankenschnell und entschlossen
er den Steilpass abgelaufen hatte. Auf dem Spielfeld hatte er kaum Zeit nachzudenken, das war sein Glück. Der Instinkt eines
Torwarts, in zwanzig Jahren geschult, entschied für ihn.
Aber konnte er die Konzentration halten?
Langsam, vorsichtig schob Hannover den Ball durch die eigene Abwehr, hatten die Kölner den Ball, machten sie es genauso. Sobald
das Spiel dann im Mittelfeld Fahrt aufnahm, unterliefen beiden Teams grobe Fehler. Gelegentlich offenbarte Hannover ein wenig
Esprit. Köln dagegen enttarnte sich als Team ohne auch nur halbwegs passables Angriffskonzept. Auf die banalste Art versuchte
der FC immer wieder, den Ball steil in den freien Raum hinter Hannovers Abwehr zu passen. Robert Enke musste einige Male harmlose
Steilpässe ablaufen.
Teresa und Sebastian jubelten jedes Mal, wenn er den leichtesten Ball in den Händen hielt. Was ist denn mit denen los, fragten
die Blicke ihrer Tribünennachbarn.
Endlich einmal brach Podolski auf dem linken Flügel energisch durch, er flankte, und Robert Enke fing den Ball sicher ab.
45 000 hatten eine tadellose Aktion des Torwarts gesehen. Wer um seine Krankheit wusste, erkannte dagegen in dieser Szene, dass
er nicht auf der Höhe war: Er hatte am vorderen Pfosten gestanden, nicht, wie er es neuerdings wollte, mehr in der Mitte des
Tors. Sein Instinkt spulte die Bewegungen ab, die er sich seit der Jugend angeeignet hatte; für kompliziertere Manöver fehlten
ihm Aufmerksamkeit und Kraft.
Teresa sah, wie er immer wieder den Körper anspannte, wenn der Ball in der anderen Spielhälfte, weit weg von ihm war. Er wandte
unglaubliche Kraft auf, um die Konzentration nicht zu verlieren.
Nach 37 Minuten brachte Jan Rosenthal Hannover 1:0 in Führung. Aber das Tor änderte nichts. Köln passte den Ball steil |407| und schlecht. Mehr fiel der Elf nicht ein. Ein Eckball noch für Köln, dann würde Halbzeit sein.
Lukas Podolski nahm Anlauf. Der Ball flog auf Höhe der Fünfmeterlinie, in der Mitte stand Robert Enke und sollte ihn unbedrängt
abfangen können. Doch während der Ball schon auf dem Weg war, stieß Robert mit der rechten Hand Jan Rosenthal nach vorne,
um mehr Platz zum Hochspringen zu haben. Der Stupser brachte ihn selbst für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Gleichgewicht.
Er sprang zu spät hoch, um den Ball in idealer Haltung abzufangen.
Diesmal schrien die 45 000 zusammen mit Teresa und Sebastian.
Er hatte den Ball fallen gelassen. Kölns Pedro Geromel trat danach, drei Meter vor dem Tor.
Geromel erwischte den Ball nur mit der Fußspitze. Der Ball flog hoch in die Luft statt auf das Tor, Robert Enke, schon wieder
sicher, fing ihn ab und versuchte, ihn sofort einem Mitspieler zuzuwerfen, damit es weiterging.
Das passierte Robert Enke sonst nie, raunten die Sportreporter. Es war sein erstes Spiel nach dieser Infektion, erklärten
sie sich im nächsten Satz die Unsicherheit.
Die Fernsehkamera fing sein Gesicht ein. Es schien starr vor Konzentration, da war kein Ärger, keine Nervosität. Es würde
die gesamten neunzig Minuten gleich aussehen. Nur eines schien merkwürdig. Für einen Torwart atmete er schwer.
Teresa zupfte sich an den Fingernägeln. Es war Halbzeit. Es blieben noch 45 Minuten, in denen sich der Schrecken des Eckballs
wiederholen konnte.
Doch seine Mannschaft beschützte ihn. Sie verteidigte schon im Mittelfeld mit Nachdruck, in ihren Kontern tauchte sogar etwas
wie Spielwitz auf. Köln belästigte ihn kaum noch. In einem mitreißenden Reflex faustete er einen Weitschuss von Petit ins
Toraus, es sollte in den Augen der 45 000 die einzige schwere Prüfung bleiben. Tatsächlich war es beeindruckend, vielleicht auch unglaublich, wie wach er war. Er
spielte sehr offensiv, jede Chance, einen Steilpass abzulaufen, ergriff er sofort, auch außerhalb des Strafraums. Als Schiedsrichter
Fleischer den 1:0-Sieg |408| mit dem Schlusspfiff bestätigte, rannte Hanno Balitsch sofort zu ihm.
»Das war der erste Schritt zurück«, sagte Robert, während der Freund ihn umarmte.
Auf der Tribüne fragte ein Fan Teresa: »Was ist denn mit dir los?« Sie weinte.
Die Mannschaft, die Trikots aus den Hosen, marschierte zu ihren Fans, Robert Enke ging unter ihnen und klatschte die Hände
der Fans ab. Auf dem Rückweg gab Hanno Balitsch ihm einen übermütigen Stupser mit der Brust.
Er sah Teresa auf der
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