Robert Enke
Verzweiflung in der Stimme: »Ich will am Samstag nicht spielen!«
Er blieb den ganzen Vormittag liegen.
In den nächsten Tagen konkurrierten die Ängste miteinander. Die Angst, spielen zu müssen, wurde von der Angst, entdeckt zu
werden, gejagt. So fuhr er jeden Tag zum Training.
Dort fragten ihn die Sportreporter, ob er am Samstag gegen den 1. FC Köln wieder im Tor stehe. »Das muss ich noch mit dem
Trainer besprechen.« Es war Donnerstag.
Die Sportreporter hatten das Training gesehen und schrieben, es sei davon auszugehen, dass Robert Enke in Köln ins Team zurückkehre.
Am Freitag würde die Mannschaft nach dem Vormittagstraining nach Köln aufbrechen. Teresa spielte mit Leila im Kinderzimmer,
als er am Morgen die Treppe hinunterkam.
»Wie geht es heute?«
»Ich kann nicht spielen! Schau dir doch meine Oberschenkel an, da ist doch nichts mehr, alle Muskelmasse ist weg.«
Sie hatte den Satz bereits dreißig Mal gehört, und dreißig Mal hatte sie geantwortet: »Robbi, du hast doch die ganze Zeit
trainiert, deine Beine sind so stark wie eh und je, es ist nicht zu Ende!«
Diesmal antwortete sie: »Schau, es hat doch alles keinen Sinn mehr. Lass uns in die Klinik fahren.«
Einen Moment sagte er nichts, und dann einfach nur: »Okay.«
Er wollte in die Privatklinik Bad Zwischenahn einchecken. Valentin Markser hatte ihm die Klinik vor Wochen empfohlen, sie
hatten das Szenario durchgespielt, was wäre, wenn sich Robert einweisen lassen würde. Robert Enke setzte sich zu Leila auf
den flauschigen Teppich des Kinderzimmers. Teresa holte |400| das Informationsblatt der Klinik und rief im Gehen bereits Valentin an.
»Wir machen es«, sagte sie. Markser fragte nach, wie es Robert ginge. Also, sagte er dann, er würde sofort Chefarzt Friedrich
Ingwersen in der Klinik anrufen, um sie anzukündigen. Er melde sich danach wieder.
In der Zwischenzeit riefen sie Jörg an.
»Wir fahren in die Klinik.«
Jörg wurde von seiner eigenen Regung überrascht. Er war erleichtert. »Okay, dann seht aber zu, dass ihr das Haus schon verlassen
habt, wenn es publik wird«, sagte er.
Teresa musste kurz ins Bad. Sie schaffte es, die Tränen zurückzuhalten, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Aus
der Traum, dass sie wieder ihr altes, schönes Leben finden würden. Jetzt war es vorbei. Und im nächsten – oder war es noch
im selben? – Moment dachte sie: Endlich ist es vorbei.
Valentin Markser rief wieder an. Doktor Ingwersen sei heute nicht in der Klinik. Aber er habe sich erkundigt, ein anderer
Arzt werde sie empfangen, der Mann erwarte ihren Anruf. Teresa notierte den Namen des Arztes.
Sie überlegte laut: »Wir sollten aber auch das Jugendamt anrufen, bevor sie es aus der Zeitung erfahren.« Was würde man dort
sagen, wenn bekannt wurde, dass sich Leilas Adoptivvater wegen Depressionen behandeln lassen musste? Konnten sie ihm die Tochter
wegnehmen? Er hatte zu viele andere Ängste, um sich darüber auch noch Sorgen zu machen. Er wählte die Nummer des Jugendamts,
ohne zu zögern.
Teresa hatte auf dem Anruf bestanden, weil sie wusste, dass es kein Zurück mehr gab, sobald die Adoptionsbeauftragte eingeweiht
war. Dann konnte er nicht mehr auf der Fahrt nach Bad Zwischenahn plötzlich umdrehen.
Die Kollegin sei nicht da, sagte eine fremde Frauenstimme am Telefon. Solle sie etwas ausrichten?
»Nein, danke.«
Als er aufgelegt hatte, hielt er immer noch das Informationsblatt in der Hand. Ein beißender Geruch stieg Teresa in die Nase.
»Was ist das?«
|401| »Ich schwitze so.«
»Dann rufe ich da jetzt an?«, fragte sie und wartete, dass er ihr das Blatt mit der Telefonnummer der Klinik reichte.
»Gleich.« Er wollte erst ins Bad gehen, um sich zu waschen.
Zwei Minuten später kam er mit nacktem Oberkörper in Leilas Zimmer gestürmt.
»Ich fahr jetzt zum Stadion! Ich spiele morgen.«
»Robbi, schau dich doch an, du kannst doch nicht spielen!«
»Ich spiele!«
»Lass uns wenigstens Valentin und Jörg noch einmal anrufen.«
Doktor Markser wollte mit ihm reden. Augenblicklich war Robert Enkes Stimme ruhig, seine Argumentation vernünftig. Er wollte
es noch einmal probieren. Die Option mit der Klinik würde er sich offenhalten.
Einen Mann, der klar sagte, er wolle Fußball spielen, der jeden Selbstmordgedanken abstritt, konnte Valentin Markser nicht
zwingen, in eine Klinik zu gehen.
»Ihr habt immer noch die Möglichkeit, dass Robbi vor dem Spiel aussteigt«, sagte
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