Robert Enke
ging.
Zu wenige wollten offenbar begreifen, dass Robert Enke etwas Besseres war: ein Torhüter mit einem gewaltigen Absprung und
Reflexen wie wenige, der aus seinen Tugenden keine Schau machte; der fest daran glaubte, dass Ehrgeiz auch höflich und respektvoll
ausgelebt werden kann.
Wie so oft im November in Empede schienen die Farben der Natur ausgewaschen, als er beerdigt wurde. Das Braun der Felder und
die kahlen Bäume wirkten matt unter dem Grau des Himmels. Als die Trauerfeier in der kleinen Klosterkirche Mariensee zu Ende
war, hatte es zu regnen begonnen. Ohne Jacke, ohne Regenschirm, nur in Benficas dünnen Klubanzug gekleidet, stand José Moreira
auf dem Friedhof. Die Tropfen liefen an seinen schwarzen Haaren herunter, der Anzug war längst dunkelgrau gefärbt vom Regen.
Sein Anblick erinnerte daran, |425| wie unvorbereitet wir in jeder Hinsicht auf den Tod von Robert Enke waren.
Mit dem Thema Depressionen konfrontiert, merkten die meisten, dass sie allenfalls eine vage Vorstellung von dieser Krankheit
hatten. So war oft die Rede davon, Robert Enkes tragisches Schicksal müsse dazu dienen, die Krankheit zu enttabuisieren. Denn
noch immer weiß ein großer Teil der depressiven Menschen gar nicht, dass er an der Krankheit leidet. Symptome wie Antriebslosigkeit
oder Schlaflosigkeit werden oft als rein körperliches Leiden falsch gedeutet. Es wäre wohl überzogen zu hoffen, dass die Krankheit
nun schlagartig besser verstanden wird. Aber vielleicht trägt auch dieses Buch ein wenig dazu bei, dass Depressive auf mehr
Verständnis stoßen.
Das letzte Foto von Robert Enke in der Küche verschwimmt vor den Augen, und es kommen dabei so viele andere Bilder zurück.
Robert Enke, wie er auf der Terrasse seines Ferienhauses in Portugal saß. Er liebte es, im Freien zu sitzen, wenn die Nacht
hereinbrach und sich nach der Hitze des Tages eine angenehme Kühle auf die Haut legte. Auf dem Berg gegenüber leuchtete in
seiner schönsten Pracht der Pálacio da Pena.
»Das ist so schön, das kann man nur glauben, wenn man es sich immer wieder vorsagt: Ich sitze hier auf der Terrasse und schaue
auf den Pálacio da Pena.«
Teresa, die den Satz schon Dutzende Male gehört hatte, konnte nicht verhindern, dass sie aufbrauste. »Du redest ständig von
deinem tollen Pálacio, aber hast es in zehn Jahren noch nicht geschafft, ihn dir anzuschauen!«
Es war Juli 2009, vier Monate vor seinem Tod, und er ruhte so in dem glücklichen Moment, dass ihn sogar Teresas Ausbruch amüsierte.
Er suchte ihre Hand. »Wir werden uns den Palast schon noch anschauen«, sagte er. »Wir haben doch noch unser ganzes Leben Zeit.«
|426| Anmerkungen
Neben den im Buch zitierten Interviewpartnern möchte ich mich bei einer Reihe weiterer Leute sehr herzlich bedanken, die mir
bei der Arbeit an Robert Enkes Biografie geholfen haben:
Rüdiger Barth, Barbara Baumgartner, Matthias Cleef, Jan Döhling, Lotfi El Bousidi, Christoph Fischer, Max Geis, Rui Gomes,
Thomas Häberlein, Karsten Kellermann, Christof Kneer, Birk Meinhardt, Jörg Nabert, Peter Penders, Cordula Reinhardt, Harald
Stenger, Josep Miguel Terés, Daniel Valdivieso, Tino Zippel.
Jeweils ein Zitat von Robert Enke stammt aus Interviews mit Robert Mucha
/ 11 Freunde
, Michael Richter /
Kicker,
Matthias Sonnenberg
/ Sport-Bild
sowie Katharina Wolf und Gregor Ruhmöller /
Bild
-Zeitung. Zwei Zitate von Victor Valdés entnahm ich einem Gespräch mit Michael Robinson für
Informe Robinson
.
Als Hintergrundliteratur dienten mir Josef Giger-Bütler:
Sie haben es doch gut gemeint. Depression und Familie
, Beltz, 2010; Piet C. Kuiper:
Seelenfinsternis: Die Depression eines Psychiaters
, Fischer, 1995;
Psychologie Heute-compact
: »Depression . Die Krankheit unserer Zeit verstehen«; Thomas Müller-Rörich u. a.:
Schattendasein. Das unverstandene Leiden Depression
, Springer, 2007; Ursula Nuber:
Depression. Die verkannte Krankheit
, dtv, 2006.
Schwierigkeiten bereitete mir die Frage, wie ich mit Robert Enkes Tagebüchern umgehen sollte: Einerseits gewähren sie |427| einen einzigartigen Einblick in die Welt eines depressiven Menschen – und verständlich zu machen, was Depressionen wirklich
sind, ist ein Anliegen dieses Buches. Andererseits sind sie persönliche Aufzeichnungen. Als Anhaltspunkte hatte ich nur Robert
Enkes Wunsch, dass er selbst von seiner Krankheit erzählen wollte, sowie einen Satz von ihm, den er im Februar
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