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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Leila vergnügt sich mit dem Lieblingsspiel aller einjährigen Kinder:
     Sie räumt die Küchenschränke aus.
    Die Geburtstagsfeier am Vorabend war erträglich gewesen. Das sind Teresas neue Maßeinheiten: erträglich oder unerträglich.
     Viele Nachbarn kamen mit ihren Kindern vorbei und brachten selbst gebackenen Kuchen, Blumen, beste Wünsche, ohne dass ihnen
     Teresa, ohne dass ihnen irgendjemand etwas gesagt hatte. In der Küche versammelte sich ein Dutzend Freunde. Die Glückwunschkarten
     lese sie lieber erst später, sagte Teresa. Und kurz wurde es still. Wie falsch vermeintlich exakte Wörter klingen können:
     Glückwunschkarten.
    Nun, am Morgen danach, sind die Gäste wieder abgereist. Die Leere im Haus, diese absolute Abwesenheit, ist wieder spürbar,
     und zwangsläufig muss Teresa an den Geburtstag davor denken, ihren 33., der auf eine Art immer auch ihr letzter bleiben wird.
     Als Robert ihr das Gedicht schenkte.
    Teresa hat noch an die Kraft der Poesie geglaubt, als ihn die Depression im Spätsommer 2009 erwischte. »Schreib mir doch mal
     wieder ein Gedicht«, sagte sie ihm am Telefon, als er Anfang September in Köln auf einem Lehrgang der Nationalelf im Hotelzimmer
     lag und die Angst vor dem neuen Tag, die Furcht, irgendjemand erwarte irgendetwas von ihm, ihn nicht aus dem Bett kommen ließ.
     Abends schob er einen Stuhl auf den Balkon seines Hotelzimmers, im Hintergrund leuchtete der Kölner Dom, und Robert Enke dichtete
     wieder auf dem Handy:
    Sitze auf dem Balkon,
    mein Kopf ist ein Ballon.
    So schwer wie Blei und Stein,
    das kann doch so nicht sein.
    Er spürte die Freude nicht mehr, die schöne Worte auslösen können, die Zufriedenheit, die es verschafft, Gedanken aufzuschreiben.
     Sein Gedicht war ihm gleichgültig.
    Auch in seinem Tagebuch, das er während seiner Depression führte, wurden die Einträge immer knapper, je heftiger die |15| Krankheit ihm zusetzte. Auf der letzten Seite steht ein einziger Satz in riesigen Buchstaben. Es sollte vermutlich eine Mahnung
     an ihn selbst sein, aber heute liest sich sein Satz wie eine Aufforderung an jeden Einzelnen von uns:
    »Vergiss nicht diese Tage.«

|16| EINS
Ein Glückskind, eigentlich
    An einem Sonntagnachmittag ging Robert Enke zum Jenaer Westbahnhof und begann zu warten. Der Fernzug aus Nürnberg fuhr ein,
     Passagiere stiegen aus, und er ließ sich keine Enttäuschung anmerken, als sie alle an ihm vorbei vom Gleis gingen. Er wartete
     weiter. Zwei Stunden später traf der Vorabendzug aus Süden ein. Wieder ließ er alle Ankommenden gespielt beiläufig an sich
     vorbeiziehen. Es war Winter, Dezember 1995, nicht die optimale Jahreszeit, um im zugigen Bahnhof den halben Sonntag den Zügen
     hinterherzuschauen. Er entschied sich, bis zur nächsten Zugankunft ins Kino zu gehen. Er lebte noch bei seiner Mutter im Plattenbau
     in der Liselotte-Herrmann-Straße, vor vier Monaten war er 18 geworden, ein Alter, das fast jedes eigenwillige Verhalten entschuldigt
     und in dem, nach eigener Meinung, sich doch eigentlich immer nur die anderen eigenartig verhalten.
    Teresa kam sonntags immer mit dem letzten Zug aus Bad Windsheim ins Sportgymnasium nach Jena zurück. Auch in ihrem zweiten
     Jahr in Jena fuhr sie noch jedes Wochenende zu ihren Eltern nach Franken. Sie legte einen Schritt zu, um aus dem eisigen Bahnhof
     zu gelangen, als sie ihn auf der Bank entdeckte. Sie saß neben Robert in der Schule. Als sie, eine Fremde aus Bayern, anderthalb
     Jahre zuvor in die zwölfte Klasse des Sportgymnasiums gekommen war, hatte es nur zwei freie Plätze zur Auswahl gegeben, alleine
     in der letzten Reihe oder neben Robert. Sie kamen gut miteinander aus, fand sie, nur über seine Frisur würde sie an seiner
     Stelle noch einmal nachdenken. Seit er neben der Schule bei den Profifußballern von Carl Zeiss Jena trainierte, trug er die
     blonden Haare nach deren Modeverständnis seitlich kurz, oben lang, »wie ein Vogelnest auf dem Kopf«.
    |17|
    Robert mit Teresa und seiner Familie nach einem Spiel des Sportgymnasiums Jena gegen eine Thüringer Auswahl. [1]
    »Hallo, was machst du denn hier?«, fragte sie ihn auf dem Bahnsteig, es war nach 22 Uhr.
    »Ich warte auf jemanden.«
    »Ach so. Na dann, noch einen schönen Abend.«
    Sie lächelte ihm kurz zu und hastete weiter.
    »Mann!«, rief er ihr hinterher. »Auf dich warte ich natürlich!«
    Und zwar schon seit über fünf Stunden, erzählte er ihr kurz darauf, als sie im
French Pub
etwas tranken.
    Er hatte

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