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Robert Enke

Robert Enke

Titel: Robert Enke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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nicht mehr erkennt, welches Leid er anderen mit seinem Tod
     zufügt, denen, die er liebt, genauso wie dem Lokomotivführer, vor dessen Zug er sich an jenem Novemberabend stellt?
    |12| Wie lebt es sich mit Depressionen oder nur mit der Ahnung, sie könnten jeden Moment wiederkommen? Mit der Angst vor der Angst?
    Die Antworten wollte Robert Enke gerne selber geben.
    Er wollte dieses Buch schreiben, nicht ich.
    Wir kannten uns seit 2002, ich berichtete gelegentlich für Zeitungen über ihn, auf einmal lebten wir in derselben Stadt, Barcelona.
     Wir trafen uns immer öfter, ich hatte das Gefühl, dass uns dieselben Dinge im Leben wichtig waren: Höflichkeit, Ruhe, Torwarthandschuhe.
     Irgendwann sagte er: »Ich habe ein Buch von dir gelesen, fand ich super!« Ich errötete von dem Lob und antwortete panisch,
     nur um mit etwas vermeintlich Keckem dem Gespräch schnell eine andere Richtung zu geben: »Eines Tages schreiben wir gemeinsam
     eines über dich.« Meine Verschämtheit wuchs, als ich merkte, er verstand meinen spontanen Spruch als ernsthaften Vorschlag.
    Danach erinnerte er mich immer wieder einmal an unser Projekt, »ich habe mir Notizen gemacht, damit ich nichts vergesse«.
     Heute weiß ich, warum ihm die Biografie so sehr am Herzen lag: Wenn seine Torwartkarriere vorbei war, würde er in der Biografie
     endlich von der Krankheit erzählen können. Ein Torwart, der letzte Halt, darf in unserer Leistungsgesellschaft nicht depressiv
     sein. So wandte Robert Enke ungeheure Kraft auf, um seine Depressionen geheim zu halten. Er sperrte sich in seiner Krankheit
     ein.
    So muss ich seine Geschichte nun ohne ihn erzählen.
    Es ist schwer vorstellbar, dass ich jemals wieder auf solch schonungslos offene Interviewpartner treffen werde wie auf der
     Reise durch Roberts Leben. Freunde von ihm erzählten plötzlich von ihren eigenen schwarzen Gedanken. Seine Torwartkonkurrenten,
     die sich, ein Gesetz des Profisports, doch in Interviews die Maske des Unverwundbaren aufsetzen sollen, redeten auf einmal
     über ihre Zweifel und Ängste.
    Der Tod eines geliebten Menschen löst in den meisten von uns den Drang aus, ehrlich zu sein, Gutes zu tun, die Dinge ändern
     zu wollen. Doch in erster Linie bringt ein öffentlicher Tod eines hervor: unsere menschliche Hilflosigkeit.
    |13| Wir wussten nicht einmal, wie wir angemessen trauern sollten. Grausam wogten die Diskussionen durch Deutschland, ob die Trauerfeier
     im Fußballstadion von Hannover noch pietätvoll oder schon Teil eines Events war. Auch Roberts Mutter störte sich daran, dass
     der Sarg im Stadion aufgebahrt war. »Da dachte ich mir: Mensch, er ist doch nicht Lenin!«, sagt Gisela Enke, als wir in ihrer
     Küche in Jena sitzen. Robert, sportlich-elegant im samtblauen Pullover mit V-Ausschnitt unter dem grauen Anzug, hält sie fest
     im Arm auf einem der vielen Fotos über dem Esstisch. Aber wie sie hier sitzt, eine energiegeladene, herzliche Frau, lehrt
     sie uns alle Demut: Sie hat verstanden, dass es absurd ist, sich darüber zu streiten, wie gelungen die Trauerfeier war, sie
     hat ihren Frieden gefunden im Wissen, dass alle das Beste wollten; dass wir gerade auch dann, wenn wir beseelt sind, Gutes
     zu tun, sehr viel falsch machen.
     
    Viele haben seinen Tod falsch verstanden: Er habe sich umgebracht, weil er sein Leben nicht mehr aushielt. Es gab Nachahmungstäter,
     weil sie sich in den Irrsinn hineingesteigert hatten, dann seien sie wie er, dann seien sie ihm nahe. Welch ein tragisches
     Missverständnis. Die meisten depressiven Menschen, die einen Selbstmordversuch begehen, wollen nicht sterben. Sie wollen nur,
     dass diese Finsternis endlich verschwindet, die ihre Gedanken bestimmt. Robert Enke ging es wohl nicht anders. »Wenn du nur
     einmal eine halbe Stunde meinen Kopf hättest, dann würdest du verstehen, warum ich wahnsinnig werde«, sagte er einmal zu Teresa.
     
    Es spielt keine Rolle, wie viele solcher Erklärungen ich finde, die Fragen, die immer wiederkehrenden, sich im Kreise drehenden
     Fragen, lassen sich von keiner Antwort aufhalten.
    Ist etwas in seiner Kindheit passiert, das ihn anfällig für Depressionen machte? Was ging ihm an jenem Novemberdienstag durch
     den Kopf, als er acht Stunden lang mit seinem Auto umherfuhr, ehe er auf die Zuggleise trat?
    Die Fragen melden sich unerbittlich wieder, auch am Tag nach Teresas 34. Geburtstag, der gleichzeitig ihr erster Geburtstag
     ist; |14| der erste ohne ihn. Wir sitzen in der Küche in Empede,

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