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Robinas Stunde null

Robinas Stunde null

Titel: Robinas Stunde null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Fläche.
Heiß stieg es in Robina auf.
Rasch wandte sie sich zu den Bänken, auch diese
eingegossen in durchsichtiger glatter Masse.
Marie erahnte die Ursache Robinas nervösen Gebarens.
„Aber man kann noch darauf sitzen“, sagte sie und
demonstrierte es.
Die Augen hatten sich an das dämmrige Licht im Raum
angepasst. Wortlos ging Robina umher, betrachtete diese und
jene Statue, das Taufbecken, verhielt an der Kanzel, betastete
die Leuchter auf dem Altar. „Alles, alles“, stöhnte sie, „alles
haben sie eingegossen!“
Im Aufprall der Lichtbalken, die durch die Fenster drangen,
reflektierten die Säulen, die steinernen Verästelungen und die
Decke eines durchsichtigen Gewölbes, niedriger als der
ursprünglicher Himmel. Und in Robina hallte es hämmernd:
,Kaputtmachen,
kaputtmachen!’ Sie rief es laut:
„Kaputtmachen!“ Der Raum schluckte das Wort. Robina harrte
und lauschte vergeblich: Kein „…uttmachen,
…uttmachen,…machen“ kam aus den Wölbungen zurück.
Sie stand noch eine Weile.
Marie verhielt sich still. Sie begriff nicht, was, wusste jedoch,
dass in der Reisegefährtin etwas Erschütterndes vorging…
„Komm!“, bat Robina nach einer Weile.
Sie verließen schweigend den Dom, und Robina nahm ihren
vordem gedachten Wunsch, Ed möge noch viel geschafft
haben, mit einem tiefen Seufzer zurück. –
    Überall das gleiche Bild: Auf dem Weg nach Süden Autos,
Personenwagen und Trucks, an den Straßenrändern, auf den
Parkplätzen.
    Langsam gewöhnte sich Robina an diesen Zustand und den
Gedanken, dass einst, vor wenigen Jahren, Menschen darin
saßen, Spaß am Fahren oder am Nutzen der Vehikels hatten.
Und auch die Überlegung, dass es Leute gegeben hatte, die die
Fahrzeuge, zumindest die an den Hauptstraßen stehenden, von
den sterblichen Überresten befreit hatten, schreckte Robina
nicht mehr. Schon ein wenig makaber dachte sie, dass es für
Künftiges nunmehr ungeheure Reserven gab und ein scheinbar
unendliches Rohstoffaufkommen. –
    Obwohl Robinas innere Unruhe eher noch zugenommen hatte,
zwang sie sich, natürlich auch ihrer Reisegefährtin Marie
zuliebe, zu einer moderaten, eher gemütlichen Reise. Sogar
einen Abstecher zum Bodensee und einen Tag Aufenthalt dort
gönnten sie sich, mieden jedoch, auf Maries Anraten,
Campingplätze, auf denen sie im Vorbeifahren eine ziemlich
dichte Belegung ausmachen konnten.
    „Ich kann mir nicht vorstellen“, erklärte Marie, „dass man die
Kraft hatte zu beräumen…“
Sie fanden eine Stelle am Ufer, umgeben von einem lichten
Wäldchen, an der sie den Rest des Tages und die Nacht
verbringen wollten.
Am späten Nachmittag, die Sonne stand schon tief über der
Insel Meinau am gegenüberliegenden Ufer, lud Robina zu
einem Spaziergang. Marie, ein wenig zögernd, wie es schien,
stimmte zu.
Sie schritten auf einem schmalen Weg zwischen
Hagebuttensträuchern und kleinen, mit üppigem Gras
bewachsenen Lichtungen. Begleitet wurden sie von einem
vielstimmigen Vogelkonzert und Grillengezirpe.
Plötzlich machte Marie einen raschen Schritt voraus und
zeigte unverhältnismäßig interessiert auf eine unscheinbare
Pflanze mit kegelförmig angeordneten roten Blütenständen, die
links vom Weg stand. „Ein Weidenröschen“, erklärte sie, als
sei es eine Entdeckung.
„Schön“, bestätigte Robina, wenig begeistert. Sie hatte
deutlich das Gefühl, durch dieses Weidenröschen abgelenkt
werden zu sollen. Sie wandte sich deshalb auch rasch vom
Gewächs ab und schaute sich misstrauisch um.
Marie stand mit hängenden Schultern und resignierendem
Gesichtsausdruck, als Robinas Blick auf das fiel, das durch das
Manöver vor ihr verborgen bleiben sollte.
Unweit vom Weg lagen, vom hohen Gras durchwachsen,
aber deutlich erkennbar, zwei menschliche Skelette mit
ineinander gelagerten Armknochen.
Robina stand lange und schweigend vor den Überbleibseln
vielleicht zweier Erholungssuchender oder eines Liebespaares.
Robina seufzte. „Du
musst mich nicht schonen wollen,
Marie“, sagte sie. „Ich habe damit gerechnet, dass ich
irgendwann auf sie treffe. Es ist das, womit wir leben, uns
abfinden und was wir überwinden müssen. Nach vorn geht’s.
Nur weil ich den Akt nicht erlebt habe, ist doch auf mich keine
besondere Rücksicht zu nehmen.“
Schweigend setzten sie ihren Spaziergang fort. Ein prächtiger
Schwalbenschwanz gaukelte vor ihnen her, und auf einem
hohen Ast jubilierte ein Star sein Abendlied. –
Sie fuhren bei herrlichstem Wetter durch die Alpen,

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