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Robinson Crusoe

Robinson Crusoe

Titel: Robinson Crusoe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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das Wetter noch immer etwas diesig; aber jedenfalls war doch irgend etwas da draußen vorhanden.
    Den ganzen Tag hielt ich wiederholt Ausschau und bemerkte bald, daß es sich nicht bewegte. Daraus schloß ich, daß das Schiff vor Anker lag. Da ich nun sehr begierig war, Genaueres zu erfahren, eilte ich mit meinem Gewehr in der Hand nach dem Südende der Insel zu dem Riff, von dem ich damals durch die Strömung abgetrieben worden war. Inzwischen war das Wetter ganz klar geworden, und ich konnte zu meinem großen Kummer deutlich erkennen, daß es ein Wrack war, das in der Nacht auf jene unsichtbaren Klippen aufgelaufen war, die ich damals entdeckt hatte, als ich mit meinem Boot draußen war. Diese Klippen, die die Wucht der Strömung brachen und eine Art Gegenstrom verursachten, waren damals meine Rettung aus der verzweifeltsten Lage meines Lebens gewesen. So ist, was des einen Rettung ist, des ändern Untergang; denn offenbar hatten die Männer in der Nacht ihre Orientierung verloren und waren von dem hart Ostnordost zu Ost stehenden
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    Wind auf die völlig unter Wasser liegenden Klippen getrieben worden. Hätten sie die Insel gesehen, was sie, wie ich annehmen muf3, nicht taten, so würden sie gewiß versucht haben, sich in ihren Booten an die Küste zu retten. Aber ihr Notschießen machte mir vielerlei Gedanken, besonders da ich mir einbildete, sie hätten mein Feuer gesehen. Zuerst nahm ich an, sie würden wohl beim Anblick meines Feuers in ihr Boot gestiegen sein und versucht haben, die Küste zu erreichen, dann aber bei der hohen See gekentert sein. Dann wieder dachte ich, sie hätten vielleicht ihr Rettungsboot verloren, wie das oft geschieht, wenn die See über das Schiff schlägt, was die Mannschaft häufig zwingt, ihr Boot in Stücke zu zerschlagen oder mit eigenen Händen über Bord zu werfen. Dann wieder dachte ich, sie seien vielleicht in Gesellschaft von einem oder mehreren ändern Schiffen gewesen, die sie auf die Notsignale hin abgeholt und mitgenommen hätten. Wiederum endlich meinte ich, sie seien etwa alle im Rettungsboot in See gegangen und ebenso wie ich durch die Strömung abgetrieben worden, hinaus in den weiten Ozean, wo nichts als Elend und Tod ihrer wartete, und sie dächten vielleicht schon jetzt ans Verhungern und daran, sich gegenseitig aufzuessen.
    Da dies alles nur Vermutungen waren, konnte ich in meiner Lage nichts anderes tun, als das Unglück der armen Männer zu betrachten und sie zu bemitleiden, was für mich jedoch die gute Wirkung hatte, daß es mir neuen Anlaß bot, Gott dafür zu danken, daß er in meiner Verlassenheit so gütig und reichlich für mich gesorgt hatte und daß von nun zwei
    Schiffsbesatzungen, die in diesen Teil der Welt
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    verschlagen worden waren, kein einziges Leben verschont geblieben war als das meinige. Hier lernte ich abermals bedenken, daß wir auch in der ärgsten Not und im größten Unglück, in das uns die Vorsehung Gottes stürzen mag, fast immer noch etwas finden, wofür wir dankbar sein können, und uns immer noch glücklicher schätzen dürfen als andere, denen es noch schlimmer ergangen ist als uns, so wie es jetzt sicherlich mit diesen Männern der Fall war, von denen nicht im mindesten mehr zu hoffen war, daß auch nur einer von ihnen gerettet sei; nach vernünftigem Ermessen mußte man annehmen, daß sie allesamt zugrunde gegangen seien. Die einzige Möglichkeit war, daß ein anderes Schiff, das sie begleitet hatte, sie aufgenommen hatte; aber auch das war eine sehr schwache Möglichkeit: denn ich sah nicht die geringste Spur von einem solchen Schiff.
    Ich vermag mit keinem Wort auszudrücken, was für eine heiße Sehnsucht ich bei dem Anblick des Wracks in meiner Seele fühlte. Manchmal entfuhr es mir: «O
    wären doch ein oder zwei, nein, nur eine einzige Seele aus dem ganzen Schiff gerettet und käme zu mir, daß ich nur einen Gefährten, ein Geschöpf hätte, das zu mir sprechen und mit dem ich reden könnte!»
    Während meines ganzen einsamen Lebens hatte ich nie so leidenschaftlich und innig nach der Gesellschaft eines anderen Menschen verlangt oder den Mangel daran so tief bedauert.
    Es gibt Regungen in der menschlichen Brust, die, wenn sie durch etwas, das uns vor Augen steht, oder auch nur durch etwas, das die Einbildungskraft uns vorgaukelt, geweckt werden, die Seele mit so
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    stürmischem Verlangen erfüllen, daß es uns ganz unerträglich scheint, auf das Erschaute und Ersehnte verzichten zu müssen.
    Solcherart war

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