Robinson Crusoe
vier Zoll weit eingedrungen war und eine steinharte Rinde gebildet hatte, in der das Innere wie der Kern in der Schale unversehrt lag, so daß ich noch fast sechzig Pfund gutes Pulver bekam, was mir sehr lieb war. Ich trug alles in die Höhle und behielt immer nur zwei oder drei Pfund Pulver in meinem Schloß. All mein Kugelblei schleppte ich gleichfalls hin.
Ich kam mir jetzt wie einer der alten Riesen vor, die in Höhlen und Löchern in den Felsen lebten, wo niemand zu ihnen kommen konnte. Ich sagte mir, solange ich hier bin, mögen fünfhundert Wilde Jagd auf mich machen, sie werden mich doch nicht finden, und selbst wenn sie mich fänden, würden sie nicht wagen, mich anzugreifen.
Der alte Bock, den ich in den letzten Zügen angetroffen hatte, starb am nächsten Tage in dem Vorraum der Höhle, und ich fand es viel leichter, dort ein Loch zu graben und ihn hineinzuwerfen, als ihn aus der Höhle zu schleppen. So begrub ich ihn an Ort und Stelle, um meine Nase vor zweifelhaften Genüssen zu bewahren.
Nunmehr war ich im dreiundzwanzigsten Jahre meiner Residenz auf der Insel und war an den Ort und meine Lebensweise so gewöhnt, daß ich ohne Murren den Rest meines Daseins hier verbracht hätte bis zu dem Augenblick, wo ich mich niedergelegt hätte, um zu sterben wie der alte Bock in der Höhle, wenn ich nur vor den Wilden sicher gewesen wäre. Ich hatte mir auch einige Zerstreuungen und kleine Freuden verschafft, die mir die Zeit besser vertrieben. Erstens lehrte ich meinen Poll, wie schon gesagt, sprechen,
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und er tat es so zutraulich und schwatzte so deutlich und klar, daß ich meine rechte Freude daran hatte; er lebte nicht weniger als sechsundzwanzig Jahre mit mir. Wie lange er später noch am Leben blieb, kann ich nicht sagen, obwohl ich weiß, daß man in Brasilien meint, diese Vögel brächten es auf hundert Jahre.
Vielleicht lebt mein guter Poll wirklich noch und ruft bis zum heutigen Tag nach dem armen Robin Crusoe.
Ich wünsche keinem Engländer das Unglück, dorthin zu kommen und ihn zu hören; geschähe es aber doch, so würde er sicher glauben, es sei der Teufel. Mein Hund war mir ein lustiger und sehr lieber Gefährte in nicht weniger als sechzehn Jahren; er starb dann vor Alter. Meine Katzen vermehrten sich, wie ich berichtete, so reichlich, daß ich zuerst genötigt war, eine ganze Menge zu erschießen, damit sie nicht mich und alle meine Habe auffräßen. Aber nachdem die beiden Alten, die ich mitgebracht hatte, aus dem Leben geschieden waren und ich die ändern immer wieder verjagt und ihnen nichts zu fressen gegeben hatte, verliefen sie sich alle wild in den Wald, außer zwei oder drei Günstlingen, die ich zahm als Familienmitglieder bei mir behielt und deren Junge ich allemal ersäufte. Außerdem hielt ich mir stets zwei bis drei Hausziegen, die ich lehrte, mir aus der Hand zu fressen, sowie mehrere Papageien, die leidlich sprechen konnten und alle «Robin Crusoe» riefen, freilich nicht so gute wie Poll, mit dem ich mir auch viel mehr Mühe gegeben hatte. Ferner hatte ich auch noch ein paar Seevögel, deren Namen ich nicht kannte; ich hatte sie am Strand gefangen und ihre Flügel gestutzt, und da die kleinen Bäume, die ich vor meine Schloßmauer gepflanzt hatte, nun zu einem
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dichten Hain aufgewachsen waren, so hausten diese Vögel darin und brüteten zu meiner Freude auch Junge aus. So wäre ich, wie gesagt, sehr zufrieden mit meinem Leben gewesen, wenn ich mich nur nicht vor den Wilden hätte zu fürchten brauchen. Aber der Himmel hatte es anders bestimmt, und es mag für alle, die mit meiner Geschichte bekannt werden, nicht ohne Nutzen sein, daraus zu ersehen, wie häufig im Laufe unseres Lebens ein Unheil, das wir an sich nach Kräften zu vermeiden suchen und das, wenn wir dennoch hineingeraten, höchst schrecklich für uns ist, oftmals gerade das Mittel oder die Tür zu unserem Heil ist, durch die allein wir wieder aus einer Not. in der wir uns befinden, hinausgelangen können. Ich könnte aus meinem wunderbaren Leben viele Beispiele hierfür geben, besonders aber aus den letzten Jahren meiner Einsiedlerzeit auf dieser Insel.
Es war im Dezember meines - wie oben gesagt -
dreiundzwanzigsten Jahres, also zur Zeit der südlichen Sonnenwende (denn Winter kann ich es nicht nennen), die für mich die eigentliche Erntezeit war, wo ich mich viel auf den Feldern aufhalten mußte, als ich eines Morgens, an dem ich schon sehr früh, noch bevor es ganz hell war, draußen
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